Plötzlich eröffnete sich eine neue, stille Welt
Aus privater Intention, einer Herzensangelegenheit, lernte Petra Schramm Gebärdensprache und wurde so zur einzigen Friseurin für Gehörlose.
KLAGENFURT (vep). Einfach so, weil sie es nicht mitansehen konnte, dass eine andere Mama bei Veranstaltungen des Bowlingvereins ihrer Tochter immer ganz alleine im Abseits stand, hat sich die Klagenfurterin Friseurin Petra Schramm von einem Tag auf den anderen entschlossen, die Gebärdensprache zu lernen. „Wir waren an dem Tag bei einer Bowlingmeisterschaft in Wien und es hat mir wie immer so leid getan, dass Natalie jedesmal ganz alleine irgendwo herumstand. Sie ist gehörlos und keiner kann sich mit ihr unterhalten“, sagt Schramm, die mit ihrer Tochter Jessica in Fischl wohnt. Sie ließ sich zwar von Natalie bei jeder Gelegenheit einige Worte beibringen, doch das war ihr zuwenig. „Nachdem wir bei den Turnieren immer auf Reisen waren, waren die ersten Worte Guten Morgen, Brot, Butter und Marmelade“, schmunzelt Schramm.
Fünf Semester an der Uni
Schramm ist seit 2009 als Human-Energetikerin und seit 2014 auch als mobile Friseurin selbstständig. Neben Arbeit und Familie setzte sie sich ab 2014 fünf Semester lang als Außerordentliche Hörerin jede Woche in die Uni, lernte von Grund auf die Gebärdensprache, belegte weitere Kurse zu ihrer Geschichte und Kultur. Viele davon bei Natalie selbst, da sie an der Uni Gebärdensprache lehrt.
Vieles neu lernen müssen
„Gehörlose haben eine andere Grammatik, wir Hörende müssen uns umstellen. Da heißt es ,Kind abholen Schule' oder ,Fahren nachhause'", sagt Schramm. Auch das Aus-sich-Herauskommen musste die Friseurin lernen, denn: "Gehörlose sind uns in Mimik und Motorik weit voraus. Wenn wir Hörende Gebärdensprache sprechen, ist das für sie so, als würden wir stammeln." Denn mit der Mimik transportieren sie die Emotion, mit den Händen die Bedeutung, die Wörter.
"Ich kratze mich übrigens nicht mehr an der Nase, weil ich weiß, das heißt Sex", lacht Schramm.
"Gehörlose sind Außenseiter"
Dann wird sie wieder ernst – und traurig. Denn je mehr sie in die Welt der Gehörlosen eingetaucht ist, desto mehr hat sie bemerkt, wie ausgegrenzt diese Community ist. „Gehörlose bleiben immer unter sich. Sie kämpfen sehr mit dem Vorurteil, sie seien hilflos und dumm. Das liegt daran, dass sie meist bemüht sind, einige Laute auszustoßen zu können, wenn sie mit Hörenden reden“, seufzt Schramm.
Engagement herumgesprochen
Mit dem Erlernen der Gebärdensprache hat sich der Kontakt zu Gehörlosen immer weiter intensiviert. „Es spricht sich in der Community schnell herum, wenn ein Hörender plötzlich ihre Sprache kann. Ich habe dann immer öfter Grillfest-Einladungen angenommen, sogar Gottesdienste besucht.“
Zur Friseurin für Gehörlose
Und plötzlich hat Schramm noch etwas anderes bemerkt: „Ich erhielt auf einmal Anfragen, ob ich nicht ihre Friseurin werden möchte“, sagt Schramm. Sie ist seitdem die, soweit bekannt, einzige Friseurin für Gehörlose. "Viele waren so dankbar, plötzlich eine Friseurin zu haben, mit der sie sich zu Farb- und Schnittberatung unterhalten konnten", sagt Schramm und verrät: "Gehörlose schneiden sich lieber zuhause selbst die Haare im Alleingang, weil sie beim Friseur ihre Wünsche nicht richtig ausdrücken können und sich in solchen Situationen naturgemäß auch nicht wohlfühlen."
Mit ihrer ursprünglichen Entscheidung, für einen einzelnen Menschen in die Bresche zu springen und Neues zu lernen, hat Schramm also im Nachhinein noch viele andere Menschen glücklich gemacht, inklusive sich selbst: "Ich lerne nun so viele neue, herzliche Menschen kennen, die ich sonst nie kennengelernt hätte."
Infos zu Petra Schramm: http://www.haar-energetik.at
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