Expertin im Interview: Scheidungen aus Kinderperspektive
Die Leiterin der Beratungsstelle Klosterneuburg Renate Kromer im Gespräch über unnötiges Scheidungsleid von Kindern.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den seit 2013 verpflichtenden Elternberatungen bei einvernehmlichen Scheidungen in Klosterneuburg gemacht? Das Gesetz hat auch KritikerInnen.
RENATE KROMER: "Auch wir waren am Anfang nicht hellauf begeistert von einem verpflichtenden Beratungsangebot. Und für Kinder macht es ja keinen Unterschied, ob sich verheiratete oder unverheiratete Eltern trennen, ob sie sich strittig oder einvernehmlich trennen. Aber ich muss sagen: Unsere Erfahrungen sind positiver als befürchtet. Wir dachten, es gibt mehr Widerstand gegen diese Einmischung vom Staat. Die meisten Eltern sind jedoch dankbar für Unterstützung."
Was müssen Eltern an der Scheidungsproblematik für Kinder verstehen lernen?
"Gerade in Klosterneuburg vor den Toren Wiens bedeutet eine Scheidung fast keine Diskriminierung mehr, auch für die Kinder in der Schule nicht. Es stimmt nicht, dass Kinder prinzipiell an einer Scheidung Schaden nehmen. Wichtig ist, dass die Kinder die Sicherheit haben, dass sie beide Eltern weiterhin sehen und sie beide gleich lieb haben."
Gibt es Kardinalfehler, die Eltern vermeiden sollen?
"Den Partner vor dem Kind schlecht machen. Das belastet ein Kind massiv und dann steht nach dem Konflikt 'Scheidung' der Konflikt 'Besuchsrecht' an. Die Paarkonflikte dürfen nicht über das Kind weitergetragen werden. Gelingt eine Scheidung, lernen Kinder fürs Leben, dass man Konflikte bereinigen kann, ohne dass es Verlierer gibt."
Das klingt vermutlich einfacher, als es ist.
"Eine Scheidung ist kompliziert, weil sie so viele Ebenen berührt: die soziale, die finanzielle, die emotionale. Die meisten Menschen erleben eine Scheidung als Scheitern. Wir machen den Paaren in der Beratung keine Illusion. Es gibt keine Trennung ohne Schmerz. Wichtig ist, die Kinderperspektive immer mitzudenken und den Kindern zu erklären, dass sie nichts damit zu tun haben. Kinder beziehen solche Sachen üblicherweise auf sich. Sie sehen sich als Mittelpunkt der Welt und glauben, sie sind Schuld, wenn zum Beispiel ein Elternteil auszieht. Darunter leiden sie teilweise bis ins Erwachsenenalter."
Interview: Cornelia Grobner (Printausgabe, 21. Oktober 2015)
ZUR SACHE
Am Bezirksgericht Klosterneuburg wurden 2014 99 einvernehmliche und 59 strittige Scheidungen abgeschlossen. Insgesamt gab es im Bezirk Wien-Umgebung 2014 276 Scheidungen. Die Scheidungsrate in Niederösterreich liegt bei 43,9 %, die durchschnittliche Ehe hier dauert 12 Jahre. Bei 24,2 % der geschiedenen Ehen war ein Kind betroffen, bei 28,3 % waren es 2 Kinder und bei 9,9 %
3 oder mehr Kinder.
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