Noch einmal mit Gefühl: Geschichtsunterricht für Erwachsene

Birgit Mosser-Schuöcker arbeitet gerne mit ZeitzeugInnen: "Ich finde das ganz toll, wenn durch ein Gespräch Momente, die schon sehr lange vorbei sind, wieder zum Leben erweckt werden." | Foto: Cornelia Grobner
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  • Birgit Mosser-Schuöcker arbeitet gerne mit ZeitzeugInnen: "Ich finde das ganz toll, wenn durch ein Gespräch Momente, die schon sehr lange vorbei sind, wieder zum Leben erweckt werden."
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KLOSTERNEUBURG (Printausgabe, 26. April 2017). Das Ende der Monarchie, der Justizpalastbrand, die Anfänge der Nazi-Zeit – die Themen der Kritzendorfer Dokumentarfilmerin und Autorin Birgit Mosser-Schuöcker sind fest in der österreichischen Geschichte verankert. Nach einer Reihe von Sachbüchern hat sie zuletzt einen Roman veröffentlicht.

Österreichische Familienschicksale

"Der Sturz des Doppeladlers" ist der erste Teil einer Trilogie, in der Mosser-Schuöcker Familienschicksale in der historische Entwicklung vom Ersten Weltkrieg über Bürgerkrieg und Ständestaat bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs begleitet. Wie in ihren Sachbüchern geht es ihr in erster Linie darum, österreichische Geschichte möglichst niederschwellig zu vermitteln: "Ich will die Menschen über die Emotionen holen und auf diese Weise ihre Wissbegier wecken." Ein Vorbild dafür sind angloamerikanische und britische ErzählerInnen wie der Schriftsteller Ken Follett mit seiner Trilogie "Die Jahrhundert Saga": "Historische Romane haben keinen Seltenheitswert, aber die Aufarbeitung der österreichischen Geschichte in dieser Form gab es bislang nicht."

Populärer Geschichtsunterricht

Kritik an der populären Aufbereitung von Geschichte prallt an der Autorin ab: "Ich denke mir natürlich nichts aus. Alle historische Gegebenheiten sind recherchiert und belegt." Denn während die Hauptcharaktere zwar fiktive Figuren sind, ist ihr bei den eingeflochtenen Ereignissen und prominenten Persönlichkeiten historische Exaktheit bis ins kleinste Detail wichtig.
Für ihre Filme und Bücher taucht Mosser-Schuöcker nicht nur in Archivtiefen ein, sondern befragt auch ZeitzeugInnen zu ihren Erinnerungen: "Ich finde das ganz toll, wenn durch ein Gespräch Momente, die schon sehr lange vorbei sind, wieder zum Leben erweckt werden." Sie ist eine Verfechterin von "Oral History", einer Methode, bei der ZeitzeugInnen aus unterschiedlichsten Milieus ihre subjektiven Erinnerungen berichten. Um ein "Richtig" oder "Falsch" gehe es dabei nicht: "Natürlich gehören solche Äußerungen immer in den Kontext der jeweiligen Zeit eingebettet. Aber es geht darum zu erfassen, wie bestimmte historische Ereignisse individuell erlebt wurden."

ZeitzeugInnen am Wort

Besonders viele ZeitzeugInnen-Berichte flossen in die ORF-Dokumentationen "Wie wir wurden, was wir sind" und das Buch "Generation Österreich" ein. Darin zeichnet sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Gerhard Jelinek das Bild einer Generation, für die "Österreich" an sich einen besonderen und Stolz erzeugenden Wert darstellte: "Die Generation Österreich definiert sich wesentlich über das Land, das sie aufgebaut hat", so Mosser-Schuöcker. "Die Menschen dieser Generation sind durch einen bestimmte optimistische Grundstimmung verbunden. Sie haben eine Zeit erlebt, in der immer alles besser wurde. Zuerst war es normal, wenig zu haben. Dann wurden sie älter und konnten sich plötzlich ein Auto und einen Urlaub leisten."

Stimmungsbilder einer Zeit

Damit unterscheidet sich das Leben dieser Generation vom aktuellen gesellschaftlichen Stimmungsbild, das der Soziologe Heinz Bude als ein gereiztes analysiert hat. Hatte die Generation Österreich das Gefühl, das Schlimmste läge hinter ihr, so glauben heute viele Menschen, dass das Ärgste noch vor ihnen liege. Im Rahmen einer Dokumentation über Viktor Frankl ("…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager", 1946) erkundet Mosser-Schuöcker in ihrem neuesten Filmprojekt genau diese Grundstimmung unserer Gesellschaft und fragt sich, inwiefern die Logotherapie des KZ-Überlebenden angewendet auf die Jetzt-Zeit zur Verbesserung dieser beitragen könnte.

Problematische Vergleiche

Ähnlichkeiten der gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Stimmung mit jener vor dem Österreichischen Bürgerkrieg, die manche WissenschaftlerInnen und KommentatorInnen durch vermehrten Hass auf Flüchtlinge und Minderheiten sowie einen generellen Rechtsruck westlicher Demokratien auszumachen glauben, sieht Mosser-Schuöcker als Kennerin der spezifischen historischen Materie nicht: "Das waren völlig andere Umstände in den 1930er Jahren. Die Männer waren bewaffnet und wurden in die paramilitärische Organisationen der Parteien eingegliedert. Die Menschen waren nach dem Krieg an Gewalt gewöhnt und es war gang und gäbe politische Konfrontationen auf der Straße mit einem Knüppel auszutragen."

Gespaltene Gesellschaft

Ein Problem, das Mosser-Schuöcker, die den Bundespräsidentschaftswahlkampf im letzten Jahr filmisch begleitet hat, jedoch sehr wohl beobachtet, ist die Spaltung der Bevölkerung in zwei Lager: "Die beiden Gruppen stehen sich sprachlos und mit Vorurteilen gegenüber und bewegen sich nur mehr in ihren eigenen Echokammern. Es ist schlecht für eine Demokratie, wenn man sich nicht mehr gegenseitig zuhören kann." Die kommende Nationalratswahl, so fürchtet die Autorin, werde diese Lagerbildung zusätzlich verstärken. Denn, so wie sie in ihren Büchern, arbeiten auch PolitikerInnen im Wahlkampf mit Emotionen, um die Menschen von sich zu überzeugen: "Das Problem dabei ist, dass die Politik Emotionen derzeit nur dadurch erzeugt, indem sie Angst schürt."

AKTUELLES BUCH
"Der Sturz des Doppeladlers"
– Die große Familiensaga zum Ende der Donaumonarchie (Teil 1 der Trilogie) erschienen im Amalthea Verlag: "In den letzten Jahren des Habsburgerreiches meistern vier Familien ihr Schicksal – und eine große Liebe gibt Hoffnung für die künftigen Generationen. Ob in Wien, Prag oder Südtirol, in Kärnten oder dem heutigen Burgenland – am Ende eines furchtbaren Krieges ist nichts mehr, wie es einmal war. Liebe und Hass, Treue und Verrat, Tod und Überleben liegen in jenen Jahren nahe beieinander. Jeder Einzelne wird vor existenzielle Fragen gestellt. Es gibt immer eine Wahl. Und sie hat immer ihren Preis."
Der zweite Teil der Trilogie (1927-1938) erscheint 2018.

Birgit Mosser-Schuöcker arbeitet gerne mit ZeitzeugInnen: "Ich finde das ganz toll, wenn durch ein Gespräch Momente, die schon sehr lange vorbei sind, wieder zum Leben erweckt werden." | Foto: Cornelia Grobner
Österreich-Ungarn 1916. Liebe und Hass, Treue und Verrat, Tod und Überleben liegen in jenen Jahren nahe beieinander. Jeder Einzelne wird vor existenzielle Fragen gestellt. Es gibt immer eine Wahl. Und sie hat immer ihren Preis. | Foto: Amalthea

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