Flüchtlinge unterbringen: So könnt's gehn

Wolfgang und Barbara Gessmann haben ihr Haus für eine Flüchtlingsfamilie geöffnet.
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KUFSTEIN (nos). "Es hat uns einfach angezipft, dass immer die Regierung und und die Politik verantwortlich gemacht werden", erklärt das Ehepaar Gessmann, "wir haben uns gedacht, eigentlich muss man da auch was tun." Was sie tun können, haben Wolfgang und Barbara Gessmann rasch für sich heraus gefunden: "Der obere Stock in unserem Haus ist frei, die Kinder sind erwachsen, also was ist schon dabei?" Die beiden Pädagogen entschlossen sich, Räume für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen und erkundigten sich, ob und wie das möglich wäre.

Antworten fanden sie bei der Tiroler Caritas. "Wir haben mit Frau Saxer in Innsbruck telefoniert und wurden sofort kompetent beraten", erklärt Wolfgang Gessmann. Daraufhin ist das Paar nach Zirl gefahren, wo derzeit Flüchtlinge in einem Containerlager untergebracht sind. "Ich konnte mir das nicht vorstellen. In Zirl, neben dem Biomüllplatz auf einer Asphaltfläche …", erinnert sich der pensionierte Gymnasialprofessor, "menschenunwürdig." Dort trafen sie den 40-jährigen Firaz, seine Frau Meisae und deren kleine Tochter Mariam. Das Ehepaar Gessmann befürchtete große bürokratische Hürden und wurde auf's Positivste überrascht: "Die Caritas hat uns da alles abgenommen. Die Anträge, der Kontakt mit dem Bundessozialamt (BSA), das für die Mindestsicherung zuständig ist, die ganze Schreiberei wurde uns abgenommen! Innerhalb von zwei Tagen waren die Bescheide da." Hier auf die Caritas zu setzen sei für Wolfgang und Barbara Gessmann "nur zu empfehlen".

"Wollen den Stein ins Rollen bringen"

Nun wohnt die dreiköpfige Flüchtlingsfamilie seit etwa zwei Wochen in Kufstein bei den beiden Pädagogen im Haus. "Keiner braucht Angst zu haben, dass man dabei allein gelassen wird", meint Wolfgang Gessmann. Anfangs fehlte es an Möbeln, aber über die Werkbank der Volkshilfe in Wörgl ließ sich hier günstig Abhilfe schaffen, zudem bekommen sie reihum Angebote zur Mithilfe. Auch die Nachbarschaft in Zell reagierte weitaus aufgeschlossener, als das Lehrerehepaar anfangs befürchtete. Für sie wäre diese Art der Flüchtlingsunterbringung eine optimale Variante: "Man könnte das in die Beite, also unter die Leute bringen ohne viel mehr Geld aufzuwenden. Mit diesem Beispiel wollen wir motivieren zu helfen. Wir wollen den Stein ins Rollen bringen", so Barbara Gessmann. Das Zusammenleben mit Fariz, Meisae und Mariam klappt weitestgehend problemlos, beide Familien lernen täglich ein wenig über die Kultur und Sitten der anderen dazu. "Kultur und Religion sind aber eigentlich bei uns kein Thema", meint Barbara Gessmann. Es gehe um ganz andere Dinge, etwa, wie sie günstig zu einem Kinderwagen für Mariam kommen. Den bekam man gebraucht aus Privathand. Die Familien teilen sich gemeinsam den Küchen- und Wohnzimmerbereich im Haus, ebenso die Aufgaben im Haushalt, putzen und kochen gemeinsam. Auch hier wurden rasch Vorurteile abgebaut: "Fariz ist sich nicht zu schade mit dem Staubsauger durchs Haus zu gehen", schmunzelt Barbara. "Teilen" steht für sie hier an oberster Stelle: "Das ist eine Form des Teilens, bei der man mehr zurück bekommt, als man gibt", erklärt sie, während sie mit Mariam ein Bilderbuch durchblättert, mit ihr deutsche Worte übt, "es ist hoch an der Zeit, dass wir aufwachen und unseren Wohlstand teilen!"

"Weltpolitik kann ich nicht ändern"

Ein "großer Ansporn" war für das Lehrerehepaar das Gespräch mit dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler Ende September in Innsbruck und die Plattform "Flüchtlinge Willkommen". "Die Weltpolitik und die Unfähigkeit kann ich nicht ändern. Aber mit diesem Beispiel vielleicht etwas Angst nehmen. Wir stehen gerne bereit, wenn jemand Fragen hat kann er mit uns Kontakt aufnehmen", meint Wolfgang Gessmann. Für ihn wie auch seine Frau ist es unverständlich, dass gerade Leistungen wie Deutschkurse nun reduziert werden, Geflüchtete wären auch "eine Chance für unser Land", sind oft gut ausgebildete Facharbeiter oder Akademiker, aber dürfen in Österreich kaum oder gar nicht arbeiten. "Wenn sie die Chance bekämen arbeiten zu dürfen, würden sie ja jeden Cent sofort wieder bei uns ausgeben", stellt Gessmann fest, "das wäre auch Wertschöpfung."
Der 40-jährige Firaz etwa ist gelernter Stukkateur und Goldschmied, hat nun beinahe 15 Jahre Diaspora hinter sich – Aus Bagdad im Irak geflohen, einige Jahre in Syrien, über die Türkei nach Griechenland, Italien, wieder zurückgeschickt nach Syrien … mittlerweile hat er einen anerkannten Status in Österreich, konnte so seine Frau und seine kleine Tochter in Sicherheit bringen.

Initiativen durch "mündige Bürger"

"So lange Flüchtlinge kein Gesicht haben, solange man keinen kennt, kann man leicht schimpfen", stellen die Pädagogen fest. Ihrem Selbstverständnis nach kann der Staat nicht alles institutionalisieren: "Der Bürger muss mündig sein und etwas tun", man könne nicht alle Schuld und Verantwortung auf den Staat und die Politik abwälzen. Wolfgang und Barbara Gessmann geht es darum, "dass die Leute bemerken, dass Helfen etwas bringt. Dadurch kann man auch die herrschende Politik wieder verändern!"

Österreichweite Initiativen
Über die Plattform "Flüchtlinge Willkommen" können Privatleute zum Beispiel WG-Zimmer anbieten.
Die Caritas Tirol unterstützt Initiativen ebenso wie der Flüchtlingsdienst der Diakonie. Das Projekt der Volkshilfe Österreich nennt sich "machbar in Not". Die SOS-Kinderdörfer schaffen Plaz für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, ebenso der Verein Fluchtweg. Seit Jahren kümmmert sich Ute Bock um Asylwerber, die Asylkoordination Österreich, das Österreichische Rote Kreuz, oder der Arbeitersamariterbund Österreich.
Für die Aktion sew a smile kann jeder "Hygienesackerl" nähen, happy. thank you. more please. kümmert sich speziell um Sachspenden für Traiskirchen, auf der Website Sachspende Traiskirchen finden sich Listen, was dort am notwendigsten gebraucht wird. Welcomingtours vermittelt Flüchtlinge und Einheimische für "Kennenlern"-Spaziergänge, um mehr über Österreich zu erfahren.

Lokale Initiativen im Land und im Bezirk
Das Flüchtlingsheim "Landhaus" in St. Gertraudi/Reith i.A. hat einen Verein der Freunde und wird auch vom Verein Karibu unterstützt.
Im Warenhaus Wörgl, den Tafeln in Kufstein, Wörgl und Kramsach sowie den Kleiderläden in Kufstein, Wörgl und Rattenberg sammelt das Rote Kreuz Kufstein Lebensmittel- und Sachspenden und gibt diese an Bedürftige weiter.
Auf der Facebook-Seite Flüchtlinge Willkomen in Tirol werden laufend Initiativen vorgestellt.
Die Plattform Rechtsberatung setzt sich für die Einhaltung der Rechte von Flüchtlingen und gegen eine rechtliche und gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Menschen auf der Flucht ein.
Offiziell koordiniert wird die Flüchtlingsarbeit über die Tiroler Soziale Dienste GmbH.

Telefonliste des Landes Tirol

Das Land Tirol entschloss sich, eine Telefonliste der Unterkünfte veröffentlichen: "Wenn Sie etwas dazu beitragen wollen, dass die Menschen hier ein gutes Ankommen haben und Kleidung, Spielsachen, Sportgeräte, Fahrräder usw. spenden wollen: Bitte fragen Sie telefonisch, womit den Flüchtlingen am besten geholfen werden kann und was vor Ort gerade gebraucht wird.
Wenn Sie bei einer Einrichtung nicht gleich durchkommen, bitte nicht ärgern: Aufgrund der hohen Auslastung unserer Flüchtlingsunterkünfte sind unsere MitarbeiterInnen nicht ständig in ihren Büro- und Verwaltungsräumlichkeiten, sondern mit der Betreuung und Versorgung unserer Flüchtlinge beschäftigt. Sollten Sie die Adressen der Unterkünfte nicht kennen, geben Ihnen unsere MitarbeiterInnen darüber gerne am Telefon Auskunft. Danke für Ihre Solidarität!"

Unterland & Osttirol
Flüchtlingsheim (FH) Kufstein (betreut auch Wörgl, Erl, u.a.): 0512 21440 2246
FH Reith/Alpbachtal: 0512 21440 2252
FH Schwaz: 0512 21440 2229
FH Vomp Frundsberg: 0512 21440 2267
FH Kleinvolderberg: 0512 21440 2210
FH Kitzbühel: 0512 21440 2260
FH Lienz: 0512 21440 2255

Innsbruck und Innsbruck-Land
FH Gries/Brenner: 0512 21440 2258
FH Innsbruck Reichenau: 0512 21440 2232
FH Innsbruck Paschbergweg: 0512 21440 2277
FH Innsbruck Mentlberg: 0512 21440 2266
FH Telfs: 0512 21440 2226
FH Götzens: 0512 21440 2223
FH Zirl: 0512 21440 2228

Oberland
FH Breitenwang: 0512 21440 2253
FH Roppen: 0512 21440 2208
FH Landeck: 0512 21440 2236
FH Scharnitz: 0512 21440 2227
FH Leutasch: 05214 20065
FH Reith/Seefeld: 0512 21440 2241
FH Imst: 0512 21440 2238

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