Identitäre sorgt für Wirbel an Waldorfschule

Rudolf Steiner (im Bild eine Büste im Schweizer Garten in Wien) ist Begründer der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Für Diskussionsstoff sorgen bis heute seine Äußerungen zur Rassenfrage und zum Judentum. | Foto: Klasse im Park/Flickr/CC BY 2.0
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  • Rudolf Steiner (im Bild eine Büste im Schweizer Garten in Wien) ist Begründer der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Für Diskussionsstoff sorgen bis heute seine Äußerungen zur Rassenfrage und zum Judentum.
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WIEN. Im August dieses Jahres erhielt der Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), Andreas Peham, einen Anruf besorgter Eltern der Freien Waldorfschule Wien West im 13. Gemeindebezirk. Die Eltern wollten wissen, was das DÖW über die Identitären weiß.

Peham weiß viel über die Identitären. Etwa dass es sich um „eine rechtsextreme Jugendorganisation“ handelt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) teilt Pehams Einschätzung. "Wir sind bei dem Thema aufmerksam“, wie der Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck meinbezirk.at gegenüber bestätigt.

Politik in der Schulküche

Auslöser für den Anruf besorgter Eltern beim DÖW war ein Vorfall, der in den Februar zurückreicht. Es geht um Caroline Sommerfeld, die ebenfalls Waldorfmutter ist. In einem Blogeintrag der "rechtsintellektuellen" Webpublikation Sezession.de behauptet sie: „Im Februar dieses Jahres hat mich der Vorstand meiner Waldorfschule als Schulköchin aus dem Amt entfernt, weil ich ‚auf rechtsradikalen Internetseiten’ schreibe“. Kurz danach soll ein Vater in der Generalversammlung der Schule die Aufklärung ihres Falles gefordert haben, so Sommerfeld weiter.

Waldorfschule distanziert sich klar

Als Reaktion darauf, beschloss der Schulvorstand die sogenannte "Wiener Erklärung" aus der Schublade zu holen. Diese Erklärung wurde ursprünglich 2007 als „Stuttgarter Erklärung“ vom deutschen Bund der Freien Waldorfschulen verfasst, nachdem immer wieder Rassismusvorwürfe gegen einzelne Anthroposophen laut wurden.

In der Erklärung, die der Waldorfschulbund Österreich als „Wiener Erklärung“ übernahm, distanzieren sich die Waldorfschulen klar von Rassismus, Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit. Der Schulvorstand bat die Elternschaft, die „Wiener Erklärung“ zu unterschreiben.

Reaktion auf die Wiener Erklärung

Das bringt einige Monate später einen weiteren Vater der Waldorfschule Wien West auf den Plan, den Sommerfeld bei einem Identitärenstammtisch traf. Ihrer Erzählung zufolge soll Martin Sellner, führender Kopf der Identitären Bewegung Österreich, sie mit diesem Vater zusammengebracht haben. Nach diesem Treffen verschickt dieser Vater an alle Eltern der Waldorfschule Wien West einen Brief, der der Redaktion vorliegt.

In dem Schreiben legt er der Elternschaft eine von Sellner vorgeschlagene Ergänzung zur Wiener Erklärung ans Herz (siehe Bild). Er schreibt in dem Brief außerdem noch, dass es lächerlich sei, Sommerfeld oder der Identitären Bewegung Rechtsradikalismus nachzusagen. Der BVT jedoch beschreibt die Identitäre Bewegung im jüngsten Verfassungsschutzbericht als „erneuten Versuch, ein Netzwerk des modernisierten Rechtsextremismus zu schaffen“.


Sellners vorgeschlagene Ergänzung zur "Wiener Erklärung".

Die Protagonisten schweigen

Sommerfeld will sich gegenüber meinbezirk.at zu der Angelegenheit kaum äußern. Sie bestätigt nur, sich an die Gleichbehandlungskommission des Frauenministeriums gewandt zu haben, die in Fällen von Diskriminierung in der Arbeitswelt angerufen werden kann.

Die Walddorfschule Wien West wollte sich gegenüber meinbezirk.at trotz mehrfacher Anfrage „zu internen Angelegenheiten“ nicht äußern. Die Fragen, was mit Eltern passiert, die die Wiener Erklärung nicht unterschreiben und wie das Thema Rechtsextremismus im Unterricht behandelt wird, blieben somit unbeantwortet.

Rudolf Steiner und sein Erbe

Die Freie Waldorfschule Wien West befindet sich in keiner einfachen Lage. Erst vergangenes Jahr ist die Schule wegen rückläufiger Schülerzahlen und Schulden in die Insolvenz geschlittert, wie es in einem APA-Bericht heißt, konnte sich aber noch im Oktober 2016 neu aufstellen.

In Deutschland sind einzelne Waldorfschulen in Zusammenhang mit Rechtsextremismus immer wieder in den Schlagzeilen. So ist etwa in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung im Mai dieses Jahres ein Artikel mit dem Titel „Rechte Eltern werden zum Problem für Waldorfschulen“ erschienen. Auch das Magazin Spiegel widmete dem Thema 2015 eine Reportage unter dem Titel „Waldorfschulen fürchten Unterwanderung von Rechten“. Dieses Phänomen wird von Kritikern unter anderem auf die zum Teil antisemitischen und rassistischen Äußerungen Rudolf Steiners, dem Begründer der Anthroposophie und Waldorfpädagogik, der von 1861 bis 1925 lebte, zurückgeführt.

Waldorfbund spricht von "Einzelfall"

Angelika Lütkenhorst vom Waldorfbund Österreich geht auf Anfrage von meinbezirk.at bei der ganzen Angelegenheit an der Freien Waldorfschule Wien West von einem Einzelfall aus. „Die Schule hat uns ihre Vorgangsweise geschildert, die mir richtig erscheint. Sie sucht das Gespräch mit einzelnen Elternteilen“, sagt Lütkenhorst.

Recherchen von meinbezirk.at rund um die Waldorfschule Wien West haben ergeben, dass bezüglich rechtsextremer, rassistischer und nationalistischer Aktivitäten kein Pauschalvorwurf gegen Eltern, Pädagogen und Schulverantwortlichen erhoben werden kann.

Heftige Debatten in Deutschland

In Deutschland wird über das zum Teil schwere Erbe Rudolf Steiners heftig diskutiert. So übte etwa Ansgar Martins, ein ehemaliger Waldorfschüler, bereits 2010 Kritik am deutschen Bund der Freien Waldorfschulen: „Statt Aufarbeitung und sachlicher Distanzierung von Steiners rassistischem Unfug geht es den Autoren und dem Herausgeber ‚Bund der Freien Waldorfschulen’ nur um Abwehr sowie darum Kritikern eine ‚unhistorische und selektive’ Arbeitsweise zu unterstellen.“

Das heißt freilich nicht, dass verallgemeinernde Rückschlüsse auf eine rassistische oder antisemitische Gesinnungslage innerhalb von Waldorfschulen und den Eltern weder in Deutschland noch in Österreich zu ziehen sind. Martins warnt jedoch, „dass die Debatte um Steiners Rassismen und die Waldorfschulen weiterhin explosiv bleibt.“

"Gegen jede nationalistische Vereinnahmung"

Genau hier kommt Sommerfeld wieder ins Spiel. Sommerfeld war nämlich nicht nur als Köchin tätig, sondern sie ist auch promovierte Philosophin. Im Oktober sorgte sie auf der Frankfurter Buchmesse für Furore, als sie dort gemeinsam mit dem Autor Martin Lichtmesz das Buch „Mit Linken leben“ präsentierte.

Von den Medien eher unbeachtet bleiben jedoch ihre Abhandlungen in anthroposophischen Publikationen wie ihr Text „Denkverbote. Gegen die Angst vor Rassismusvorwürfen“. Hier schreibt Sommerfeld, dass die Aufforderung zur Unterzeichnung der „Wiener Erklärung“ einem freien Geistesleben widerspreche, Steiners Idee der Freiheit des Geisteslebens verrate und sie stellt ein Denkverbot fest. In der „Wiener Erklärung“ heißt es unter anderem: „Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pädagogik und von Rudolf Steiners Werk.“

Weiterführende Links:
* "Wiener Erklärung" des Waldorfbund Österreich
* Rechte Eltern als Problem an Waldorfschulen
* Waldorfschulen fürchten Unterwanderung durch Rechte
* Trägerverein der Waldorfschule Wien-West ist insolvent

Lesen Sie dazu auf meinbezirk.at :
* Demo der Identitären abgebrochen: Blockaden und Pfefferspray zwischen Urban-Loritz-Platz und Westbahnhof
* Startschuss für Josefstädter Umweltcharta

Rudolf Steiner (im Bild eine Büste im Schweizer Garten in Wien) ist Begründer der Waldorfpädagogik und der Anthroposophie. Für Diskussionsstoff sorgen bis heute seine Äußerungen zur Rassenfrage und zum Judentum. | Foto: Klasse im Park/Flickr/CC BY 2.0
Ausschnitt aus dem Brief, der Martin Sellners Vorschlag zur Ergänzung der "Wiener Erklärung" zeigt. | Foto: RMA

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