Zankapfel EU-Entsenderichtlinie: Osteuropäer stellen sich quer
Derzeit wird eine Reform der EU-Entsenderichtlinie verhandelt. Wirtschaftskammer und Arbeitnehmervertreter sind für eine EU-weite Arbeitsbehörde und eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten, um Lohndumping und unfairen Wettbewerb zu verhindern.
ÖSTERREICH. Wer schon einmal eine Verkehrsstrafe im EU-Ausland hatte, weiß, dass Grenzen nicht vor Strafe schützen. Bei der Durchsetzung des strengen österreichischen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes tun sie es allerdings. Bei Kontrollen ausländischer Firmen am Bau, die im Rahmen der EU-Entsenderichtlinie Arbeiter nach Österreich entsendeten, hat die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) bei fast jedem zweiten Unternehmen Lohndumping festgestellt. "Es ist eine schlimme Entwicklung. 2015 lag die Betrugsquote noch bei 25 Prozent", sagt Josef Muchitsch, Obmann der BUAK und SPÖ-Abgeordneter, zu meinbezirk.at. Bei heimischen Firmen sind es nicht einmal ein Prozent.
Ost-West-Diskrepanzen
Die 1996 in Kraft getretene Richtlinie ist vor allem seit der EU-Osterweiterung 2004 und der Krise 2008 heiß umstritten. Ziel der Richtlinie war es, Firmen die Entsendung von Mitarbeitern in ein anderes EU-Land für einen bestimmten Zeitraum zu erleichtern, ohne in das Sozialversicherungssystem des Ziellandes wechseln zu müssen. Die EU will die Richtlinie nun reformieren. Doch scheiden sich hier wieder einmal die Interessen der westlichen EU-Staaten von denen ihrer östlichen Nachbarn.
Billigarbeitskraft einziger Wettbewerbsvorteil
Zielländer wie Österreich oder Deutschland klagen über Lohn- und Sozialdumping und einen unfairen Wettbewerb für ihre Unternehmen. Die jüngeren EU-Mitglieder wie Slowenien, Polen oder Ungarn stellen die Situation freilich anders dar. Nachdem Banken, Versicherungen und Autokonzerne aus dem Westen in ihre Märkte eingedrungen sind, blieben ihnen nur noch Billigarbeitskräfte als einziger Wettbewerbsvorteil, so das Argument.
EU-weit nur wenig Entsendete
Die Zahl der entsendeten Dienstnehmer wächst jedenfalls stark an. Laut österreichischer Finanzpolizei hat sich innerhalb von nur drei Jahren ihre Zahl mit 300.000 mehr als verdoppelt. EU-weit gesehen ist ihr Anteil am Gesamtarbeitsmarkt jedoch verschwindend gering. Laut dem Think Tank Bruegel waren es 2015 EU-weit zwei Millionen entsendete Arbeitnehmer, was 0,9 Prozent aller Angestellten in den 28 EU-Staaten ausmacht. Auch beschränkt sich das Problem auf bestimmte Branchen wie Bau, Pflege, Transport oder Landwirtschaft.
"Stundenlohn auf zwei Euro gedrückt"
Die niederländische EU-Abgeordnete Agnes Jongerius hat in Wien für den Reformvorschlag des EU-Parlaments geworben. So sollen für entsandte Arbeitnehmer bei der Vergütung die tarifvertraglichen oder gesetzlichen Bestimmungen des Gastlandes gelten. Das ist in Österreich aber ohnehin schon der Fall. Nur die Lohnnebenkosten entsprechen denen des Heimatlands. Weiters sollen Arbeitgeber, die Dienstnehmer entsenden, Kost und Logis nicht mehr vom Gehalt abziehen dürfen. "Teilweise ist es so, dass der Stundenlohn der entsendeten Arbeiter durch den Abzug von Kost und Logis auf ein bis zwei Euro gedrückt wird", so die Abgeordnete von den Sozialdemokraten. Die weiteren Verhandlungen zwischen EU-Kommission, -Parlament und Rat werden ziemlich wahrscheinlich unter Österreichs Ratspräsidentschaft fallen, so Jongerius.
Sozialbetrug ohne Konsequenzen
Für die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) ist aber die Ahndung von Lohn- und Sozialdumping der springende Punkt. Derzeit obliegt die Ahndung den Behörden des Ursprungslandes. "Der Verdacht ist groß, dass die in Österreich verhängten Strafen, in den Ursprungsländern meist nicht geahndet werden", so die WKÖ. Das sei unfair, denn bei den wenigen Lohndumpingfällen, die es unter einheimischen Firmen gibt, müssen die Unternehmen aufgrund des Kumulationsprinzip zum Teil empfindliche Strafen in Österreich zahlen, heißt es aus der WKÖ. Ausländische Unternehmer, so der Verdacht, kämen ungeschoren davon.
Warten auf EU-Arbeitsmarktaufsichtsbehörde
Eine Lösung wäre, ähnlich der EU-Bankenaufsicht, eine EU-Arbeitsmarktaufsichtsbehörde. In einem Vorschlag der EU-Kommission, der am 7. März vorgelegt wird, ist so eine Behörde vorgesehen. "Die neu zu schaffende Arbeitsbehörde soll das Ziel haben, die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern", so WKÖ weiter. Auch Muchitsch sieht das so, ist aber pessimistisch: "Ich vermute, der Kommissionsvorschlag für diese Behörde wird genauso zahnlos sein wie die Entsenderichtlinie."
Lesen Sie auch:
* EU 2018: Österreich ist ab Juni Präsident
* Österreichs Exportwirtschaft im Steilflug
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.