Versoffen, dilettantisch – und doch ein Genie
Diese Woche hatte ich einen tollen Tag. Vormittag Pressekonferenz im Konzerthaus - spannendes Musikjahr 2017/18 - dann bestätigt mir Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mlekusch, dass kein Schlaganfall droht, und am Abend ein denkwürdiges Konzert im Musikverein, das ich hier beschreibe.
Russisch bis zu den Socken. Russische Werke, (weiß-)russischer Solist und russischer Dirigent. Nur die Tonkünstler kommen aus Österreich, genau gesagt aus Niederösterreich. So exzellent wie sie die Werke von Modest Mussorgsky spielen wären sie auch als russisches Orchester durchgegangen.
Dmitrij Kitajenko ist ein umsichtiger Konzertleiter, der mit kleinen Gesten eine perfekte Aufführung ansteuert und auch erreicht. Vor allem in „Bilder einer Ausstellung“ kommt er in meiner Kopfkino-Version an. Diese unvergleichliche Musik bringt mich zu ekstatischen Assoziationen. Ich hasse Museen. Hingegen ist mein Lebensmensch ein Freak davon. Im Madrider Prado sitze ich im Caféhaus, während er zwei Stunden durch die Ausstellung latscht. „Ich muss dir unbedingt etwas zeigen“, sagt er nach der Kreuzwegtour. Besticht einen Museumsaufseher, um mir ein Werk von Rogier van der Weyden - die Herabnahme Christus von Kreuz - zu zeigen. Ich heuchle Interesse, bin aber schnell wieder auf der sonnigen Plaza. Seit dem lässt er mich unbehelligt mit meinem musealen Desinteresse.
Ich komme schon wieder vom Thema ab. Der trunksüchtige Mussorgsky - von manchen als Dilettant verunglimpft - schuf Werke, die nachhaltig in die Musikgeschichte eingingen, zum Beispiel die Oper „Chowanschtschina". Ein Auszug aus dem Drama - „Lieder und Tänze des Todes“ – waren Teil des russischen Programms im Musikverein. Die Bariton Vladislav Sulimsky orgelt sich gekonnt durch die Partitur. Die Stimmkraft ist enorm. Gegen Ende ausbrausend, hingebungsvoll, einladend, ein wenig despotisch. Wenn er noch sagen würde, Brüderchen komm mit, trinken wir noch ein Gläschen Wodka, wäre ich dabei. Das würde Mussorgsky sicher gefallen.
Am Dirigenten Kitajenko sieht man, welche Bedeutung ein Maestro hat. Er bringt die Tonkünstler zur Höchstform, ihre Spielfreude bereitet
ihm Genugtuung. Und wir, das Publikum, erleben einen denkwürdigen Abend.
Next: Schostakowitsch 10, am 1.4. 2017
Infos und Tickets: www.tonkuenstler.at
Reinhard Hübl
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