Was alles möglich ist.
Beklemmung, furchtbare Beklemmung überfällt mich. Nix wie weg von hier, nur weg. Ich fahre zu schnell, kassiere ein Strafmandat und übersehe beinahe einen Fußgänger! Zu Hause gehe ich duschen, um mich von der braunen Sauce zu befreien. Im Schlaf habe ich Albträume. Kaum ein Theaterstück hat mich je so erschüttert. Wer einen guten Magen und/oder Nachholbedarf an Geschichte hat, ist im Theater in der Josefstadt gut aufgehoben. „Die Verdammten“ nach Luchino Viscontis Film in einer Bühnenfassung wird dort zur Aufführung gebracht. Man sieht, was alles möglich ist, wenn die braune Brut ans Ruder kommt. Lebende Personen natürlich ausgeschlossen, obwohl kürzlich ein Herr H. meinte, es wäre ihm nur so herausgerutscht (weil es ihm in seinem Wahlkampf geschadet hat). Na ja, sollen wir das glauben?
Zurück zum Stück: Eine fiktive Ruhr-Industriellenfamilie von Essenbeck mit allen Zutaten einer historischen Tragödie: Kinderschädigung, Mord, Gemetzel, Eifelsucht, Machtwahn und Dekadenz in der beginnenden Nazizeit. Einerseits geht es um die Rangordnung in der Firma, andererseits um die Anbiederung der Firma an die Reichsgrößen. Nach dem Röhm-Putsch - dem Anführer wurden homosexuelle Handlungen nachgesagt – ließ Hitler die Abtrünnigen dahinschlachten und löste die SA auf. Im Hause von Essenbeck spielt sich das Massaker im physischen und persönlichen Miniformat ab. Der demente Hausherr stirbt durch eine Kugel. Damit ist der Weg frei für die Nachfolge im Konzern und im Hausverband. Ein blutiges Hauen und Stechen hebt an. Und gleich dazu die Ausmerzung kranken Gedankenguts. Schwule Sentenzen sind in der Familie unerwünscht. Deswegen müssen jetzt zwei Jünglinge bangen. Umso mehr als die braune Saat immer mehr Menschen als schädlich und minderwertig ansieht. Einer aus der „lieben“ Familie, der sich schon bisher zum Nazigut bekannte, erscheint plötzlich als Hauptgruppenführer. Er putzt die Stube mit harter Faust, Mord und Totschlag zieht bei den Essenbecks ein. Dabei erfährt man, dass jene, die mit ihren Kindern geflüchtet sind, in Dachau einquartiert wurden.
Elmar Goerdens dichte Inszenierung ist fast unerträglich ob der Bösartigkeiten. Ein tolles Schauspieler(innen)-Ensemble, das man jedem Haus nur wünschen kann, tritt an die Rampe und verbreitet Angst und Schrecken, zum Teil mit Nonchalance, zum Teil mit verbaler Gewalt. Einige will ich extra vorstellen: Andrea Jonasson als Windrad, das immer zum eigenen Vorteil agiert, Meo Wolf, dem alles in der Familie ein Gräuel ist und Violine studieren möchte. Die Zudringlichkeit von Baron Martin von Essenbeck scheint ihm anfangs nicht zu stören. Und Raphael von Bargen als Obernazi. Sie liefern ein beklemmendes Stück ab, das an Grausamkeit kaum zu überbieten ist.
Next am 21.1.2017
Infos und Tickets: www.josefstadt.org
Reinhard Hübl
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