Wiener Schulen machen gegen Deutschförderklassen mobil
Schulleiter und Lehrer kritisieren die ab Herbst geplante Maßnahme heftig und wollen die von ihnen entwickelten Konzepte für das Deutsch lernen nicht aufgeben. Am Samstag gibt es eine Demo vor das Bildungsministerium.
LEOPOLDSTADT. Segregation, Unsicherheit, Chaos: Die Deutschförderklassen, die im Mai vom Nationalrat beschlossen wurden, stellen Schulen vor zahlreiche Probleme. So berichten es zumindest jene Wiener Schulleiter und Lehrer, die sich in einer Leopoldstädter Buchhandlung versammelt haben, um ihre Kritik zu äußern.
Horst-Edgar Pintarich leitet eine Ganztagsvolksschule in der Favoritner Quellenstraße und ärgert sich über die "Hauruckaktion": "Zur Schuleinschreibung im Jänner habe ich die Eltern darüber informiert, wie der Schulalltag aussehen wird. Wie sich nun herausstellt, war das alles falsch." Bis dato habe er keinen Stellenplan für das nächste Jahr erhalten – wie viele Lehrer ab September welche Stunden unterrichten, könne also derzeit noch gar nicht geplant werden.
Das Ministerium hält an der schnellen Einführung fest: Ab September besuchen außerordentliche Schüler, also solche, die nicht ausreichend Deutsch können, 15 bis 20 Stunden in der Woche Sprachförderunterricht. Das gilt vorerst für die jeweils ersten Klassen in der Volks- und Mittelschule oder im Gymnasium. Turnen, Zeichnen und Musik verbringen die Schüler in ihren "Stammklassen". Bisher war Sprachunterricht im Rahmen von elf Stunden vorgesehen, wobei den Schulen die genaue Abwicklung frei stand und die außerordentliche Schüler teils auch gemeinsam mit den Deutschlehrerinnen den Regelunterricht besuchen konnten. Die Gruppengrößen waren außerdem kleiner – jetzt können sie bis zu 25 Schüler groß sein, eine "verstecke Kürzung", wie Pintarich meint.
"Gute Lösungen werden wieder aufgegeben"
"Wir haben gute Wege gefunden, wie die Schüler bei uns Deutsch lernen", sagt Elisabeth Kugler, die die Volksschule Novaragasse leitet, "dass das jetzt alles weggewischt wird, hat uns enttäuscht." Sie hat ihre Schüler gefragt, was für Erfahrungen sie bisher gemacht haben: "Die Kinder, die Deutsch erst lernen mussten, haben fast alle gesagt, dass ihnen ihre Freunde am meisten geholfen haben. Und jene, die schon Deutsch können, haben nicht verstanden, wieso sie ihren Klassenkollegen in Zukunft nicht mehr im Unterricht helfen können." Kinder, die im Regelunterricht so viel fehlen, werden außerdem Klassen wiederholen müssen, glaubt sie.
Dass der alleinige Deutschunterricht mehr bringt als das unterstützte "Mitschwimmen" in der regulären Klasse, bezweifelt Susanne Panholzer, die an einer Volksschule in der Donaustadt unterrichtet: "Sollen 6-Jährige 15 Stunden in der Woche sitzen und Vokabeln lernen? So funktioniert das nicht, so lernen Kinder nicht Sprache. So machen wir es mit unseren eigenen Kindern ja auch nicht." Einer, der es wissen muss, bestätigt sie in diesem Urteil: Abdirahman Ahma Mohamud besucht seit zwei Jahren das Gymnasium Rahlgasse, davor hat er, der gar nicht Deutsch konnte, einige Kurse besucht. "Bei mir hat es nicht gut funktioniert, im Kurs ohne Basissprachbildung Grammatik zu lernen. Seit ich im regulären Unterricht bin und Freunde gefunden habe, habe ich viel mehr gelernt." Die Direktorin der AHS Rahlgasse, Ilse Rollett, hält dementsprechend wenig vom neuen System: "Bei mir wird es keine Deutschförderklassen geben", sagt sie. Als Gymnasium habe sie die Möglichkeit, außerordentliche Schüler abzulehnen. Ab acht Schülern muss eine Deutschförderklasse gebildet werden – so viele werde sie wohl nicht aufnehmen. Dass damit der Segregation Vorschub geleistet wird, ist für sie eine negative Folge der Regierungsmaßnahme.
Furcht vor Ghettoschulen
In der Volksschule hingegen werden alle Kinder aufgenommen, die schulreif sind. Trotzdem befürchtet Horst-Edgar Pintarich eine weitere Ghettoisierung: "Wir werden fünf erste Klasse haben, mit voraussichtlich drei Deutschförderklassen." Diese Schüler sind die Hälfte der Zeit nicht da, zurück bleiben in jeder Klasse einige deutschsprachige Kinder. Die bekommen aber keinen exklusiven Kleingruppenunterricht, dazu fehlen die Mittel und die Räume. "Vielmehr werden sie auch zusammengefasst und in unterschiedlichen Gruppen und Zimmern sein. Gerade in der Volksschule ist das Klassengefüge aber sehr wichtig – abgesehen davon, dass wir schon froh sind, wenn unsere Erstklässler ihre eigenen Klasse finden", sagt Pinterich. Er fürchtet, dass Eltern deutschsprachiger Kinder von diesem Ablauf abgeschreckt und sich andere Schulen für ihre Kinder suchen werden.
Panholzer glaubt, dass auch deutschsprachige Kinder vom jetzigen Modell profitieren: "Sie lernen verschiedene Sprachen kennen und können vergleichen." Mit den Deutschförderklassen sei das nicht mehr möglich – und den außerordentlichen Schülern fehlen die wichtigen Sprachvorbilder. Außerdem werde ihnen verweigert, im Rechnen und Sachunterricht mitzumachen.
Eine, die einen direkten Vergleich hat, ist Erika Tiefenbacher, Direktorin der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße in Währing: "Wir haben zwei Flüchtlingsklassen gebildet und können nach zwei Jahren sagen: Die Fortschritte bei jenen, die am regulären Unterricht teilnehmen und daneben Förderunterricht bekommen, sind größer als in den Klassen, in denen niemand Deutsch kann." Sie fürchtet, dass die Deutschklassen dazu führen, dass Schüler Klassen wiederholen müssen und schlussendlich ohne Pflichtschulabschluss von der Schule gehen.
Bestärkt werden die rebellischen Schulleiter und Lehrer auch von Germanist Hannes Schweiger: "Was wir über Sprachförderung wissen ist, dass sie in kleinen Verbänden, mit qualifizierten Lehrkräften und mit integrativen Modellen am besten funktioniert", sagt der Experte. Sprich: 25 Schüler in einer Deutschförderklasse seien zu viel, und die Integration bleibe auch auf der Strecke.
Doch was passiert jetzt weiter? Die Protestplattform steht auf dem Standpunkt, dass es ihnen im Rahmen der Schulautonomie erlaubt sein sollte, die für sie geeignete Deutschfördermaßnahme selbst zu bestimmen, sagt Gabriele Lener, Leiterin der Volksschule Vereinsgasse. Ob sie sich der Regierungsmaßnahme aber wirklich verweigern werden, lässt sie noch offen. "Wir hoffen auf Unterstützung durch unsere Gewerkschaft." Die Gewerkschaft der Pflichtschullehrer ist zwar ÖVP-dominiert, hat aber auch schon Kritik am Modell und der "unzureichenden Vorbereitung" geübt. Horst-Edgar Pintarich sieht das Bildungsministerium am Zug: "Wir äußern unsere Bedenken und erwarten, dass darauf geantwortet wird."
Zur Sache:
Am Samstag, 9. Juni, findet ab 14 Uhr der "Aufmarsch der Empörten" statt, der vom Urban-Loritz-Platz zum Minoritenplatz führt. Demonstriert wird für demokratische Strukturen im Bildungswesen, mehr Geld für Bildung und gemeinsame, inklusive Bildung für alle. Organisiert wird der Marsch vom Aktionsbündnis Bildung, ein Zusammenschluss von Gewerkschaftsvertretern, Bildungsvereinen und -experten. Auch die Plattform gegen Deutschförderklassen ist dabei.
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