"Es gibt eine Aufbruchstimmung"

Der Linzer Ökonom und Kulturhistoriker Walter Ötsch ist ab Freitag im Moviemento zu sehen. | Foto: NGF
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StadtRundschau: Sie sind im Dokumentationsfilm "Die Zukunft ist besser als ihr Ruf" als akademischer Lehrer zu sehen. Warum hat die Zukunft eigentlich einen schlechten Ruf?
Walter Ötsch: Auf der politischen Ebene gab es eine Zeit lang die Idee, dass die großen Parteien zusammenrücken und sagen "es gibt keine Alternative". In dieser Art von Denken wurde wenig Zukunftsfantasie entwickelt. Als Kulturhistoriker versucht man immer die Gegenwart zu verstehen, indem man nach einem einfachen Muster sucht, um die Gegenwart zu beschreiben. Im Film rede ich über die Wirtschaftskrise, aber auch darüber, dass es der Politik nicht gelungen ist, eine einfache Erzählung, ein Narrativ, zur Krise zu finden. Seit Jahren heißt es in den Zeitungen immer "Krise, Krise, Krise", es findet aber keine einfache Erklärung statt. Die Politik hätte sich zuständig fühlen müssen, der Bevölkerung die Krise in einfachen Bildern zu erklären. Denn die Finanzkrise und ihre Folgen machen den Menschen aus berechtigten Gründen Angst. Sie fühlen, dass sie die Folgen tragen müssen. Das ist für mich eine der Gründe für das Anwachsen einer Zukunftsangst und den Aufstieg des Rechtspopulismus in vielen europäischen Staaten. Der große Flüchtlingsansturm im Jahr 2015 war für mich nur mehr der Auslöser für Entwicklungen, die schon vorher passiert sind.

Die Haltung, die dann viele eingenommen haben, hat sich also schon in der Wirtschaftskrise aufgebaut?
Ja. Begleitend gibt es auch längerfristige Trends, die geeignet sind, die Zukunft negativ zu sehen, wie zum Beispiel die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. Dann gibt es mittelfristige Entwicklungen. Dazu zählt die Wirtschaftskrise, und wie man auch mit der sogenannten Staatsschuldenkrise umgegangen ist, und die dritte Ebene sind kurzfristige Entwicklungen für steigende Angst. Das betrifft hohe Flüchtlingszahlen und Terrorattentate. Als Abhilfe bräuchten wir eine Politik und politische Bewegungen, die die Kraft haben, positive Zukunftsbilder zu entwerfen und daraus Handlungen folgen zu lassen. Im großen Gang der Geschichte ist das auch immer passiert. Es hat immer Krisen gegeben und es hat immer Phasen gegeben, wo man sich bewusst war, dass es notwendig ist, über die Zukunft einen Diskurs zu führen.

Wie ist der Film aufgebaut?
Die Firma Geyrhalter hat die Idee entwickelt, Porträts über Leute zu machen, die angesichts der Wirtschaftskrise und einer Zukunftsangst in ihrem Bereich konstruktive Projekte machen. Dafür wurden sechs Personen aus ganz unterschiedlichen Bereichen ausgewählt. Es werden Menschen präsentiert, die innovativ sind. Und das nicht unbedingt auf der technischen Ebene. Es geht vorwiegend um die gesellschaftliche, soziale und ökologische Innovationskraft. Die technische Innovationskraft ist ohnehin sehr groß. Die Hoffnung ist, dass sich Entsprechendes im gesellschaftlichen Bereich entwickeln wird. Und das Schöne ist: Es gibt bereits jetzt in der Gesellschaft den Trend einer Politisierung, viele Leute denken über die Zukunft nach und entwickeln in vielen Bereichen innovative Ideen.

Sie sehen also bereits eine positive Entwicklung?

Es könnte der Anfang einer Umorientierung sein. In diesem Sinn trifft der Film einen Zeitgeist. Viele Menschen sehen die Demokratie gefährdet, haben Klarheit über die großen ökologischen Probleme – und entwickeln genau deswegen neue positive Projekte mit einer großen Zuversicht. Längerfristig betrachtet, hat die Menschheit schon große Herausforderungen bewältigt.

Gibt es dafür auch konkrete Beispiele?
In Deutschland sieht man das schon sehr gut. Der Schrecken über den Brexit, der Schrecken über Trump und der Schrecken über den Aufstieg der AfD haben eine starke zivilgesellschaftliche Aktivität bewirkt. Das ist eine gesunde Reaktion einer Gesellschaft, die ein demokratisches Potenzial besitzt. Und das ist auch der Unterschied zu den Zeiten des Nationalsozialismus. Im Faschismus hat man Menschen in einer Massenpartei einspannen können und das ist heute Gott sei Dank vorbei. Die Jugendlichen sind viel zu individuell, als dass man sie in eine Massenpartei integrieren könnte. Und in dieser Individualität liegt auch ein positives Potenzial.
Es gibt aber auch in Österreich zwei interessante Erfahrungen: Das Erste war die Hilfsbereitschaft, als die Flüchtlinge gekommen sind, und das Zweite war die breite Bewegung, die Norbert Hofer als Bundespräsident verhindert hat. Das ist letztlich durch ein zivilgesellschaftliches Engagement möglich geworden und zwar in einer Kreativität und einer Dichte, die ich Österreich gar nicht zugetraut hätte.

Kann diese positive Sicht auf die Zukunft auch ansteckend wirken?

Ja, es gibt ja auch so etwas wie Modewellen. Ich bin selber aus der Generation der 68er, und da haben wir in verschiedenen Bereichen versucht, umzudenken und uns umzuorientieren. Natürlich war das eine Bewegung, die Spaß gemacht hat. Letztlich müssten neue gesellschaftliche Bewegungen immer mit Fortschritt, modern, Spaß, hip, cool und so weiter assoziiert werden. Neue große Bewegungen wirken immer modern und werden lustvoll inszeniert.

Verschwenden aber nicht auch jene, die sich für ein positives Zukunftsbild einsetzen, derzeit viel zu viel Energie, um anderen, die empfänglich für destruktivere Zukunftsbilder sind, zu erklären wie dumm ihre Haltung ist, anstatt sie mit positiven Bildern anzustecken?
Ja, das würde ich genauso sehen. Die Energie kann nur aus den positiven Bildern kommen, so funktionieren wir Menschen. Wenn ich einen neuen Job habe oder eine neue Beziehung, dann können mich nur positive Zukunftsbilder motivieren. Wie ist es zur Demokratie gekommen? Wie ist es zur Aufklärung gekommen? Wie hat sich der Sozialstaat entwickelt? Es waren immer positive Bilder. Wie immer braucht es zweierlei: Erstens die Fähigkeit, scharf hinzuschauen und gesellschaftliche Probleme klar zu erkennen, UND, anstelle von ODER, die Fähigkeit, großen Schwierigkeiten noch stärkere Zukunftsbilder entgegenzusetzen.

Sind da auch die großen Parteien gefordert?
Mittlerweile haben wir eine Situation, wo viel politisches Interesse vorhanden ist. Es gibt auch in Österreich eine erstaunlich bunte Zivilgesellschaft, getragen von Menschen, die zukunftsorientiert sind. Wenn die großen Parteien keine positiven Zukunftsbilder entwickeln, wird es andere soziale Strömungen geben, die das machen werden. Entweder es gibt Umorientierungen in den großen Parteien oder es werden neue Bewegungen entstehen. Für einen Staatsbürger, der nicht parteilich gebunden ist, ist das eine so spannend wie das andere.
Im Rechtspopulismus gibt es hauptsächlich Angstmache und Horrorbilder. Es gibt lediglich Heilsversprechungen, aber keine positiven Bilder. Die großen Parteien müssten das verstehen und selbst in einen Wettstreit um positive Zukunftsentwürfe treten.

Warum haben eigentlich so viele Menschen Angst vor der Zukunft?

Es sind oft Menschen der unteren Mittelschicht, die im Beschäftigungsprozess stehen, und die für ihre Kinder Angst haben. Das ist eine große Gruppe. Es ist nicht so, dass es den Leuten so schlecht geht, aber sie haben Zukunftsangst für ihre Kinder. Und da ist die interessante Frage: Wie kann man das brechen? Zukunftsangst hat ja immer ein irrationales Element, denn die Zukunft ist die Zukunft, wir kennen sie ja nicht. Diese Angst kann man nur mit anderen Zukunftsbildern brechen. Das Leben findet immer in der Gegenwart statt, aber für die Gegenwart brauchen wir in allen Bereichen Vorstellungen über die Zukunft, denn sie legen den Handlungsspielraum im Hier und Jetzt fest.
Wenn klar ist, dass ein Teil der vorhandenen Ängste, ein Teil des Zuspruches zu den Rechtspopulisten aus dem Motiv einer Angst um die Zukunft der Kinder kommt, dann ist klar, was zu tun ist: Nämlich einen Diskurs über die Zukunftsbilder zu eröffnen. Was in der Zukunft dann tatsächlich passieren wird, weiß man nicht, die Zukunft hat sich in den letzten Jahren rasant verändert und es wird genauso rasant weitergehen, aber – ich wiederhole mich – die Macht von Zukunftsbildern liegt in der Handlungsorientierung im Jetzt. Die Menschen können oft schlimme Situationen gut aushalten im Glauben an positive Zukunftsmöglichkeiten. Im Kleinen passiert das ohnehin, aber noch nicht in einem gesellschaftlichen, sich selbst verstärkenden Prozess. Das könnte sich aber entwickeln.

Wir leben im Jahr 2017 trotz enormem technologischen Fortschritt ja nach den Strukturen des 20. Jahrhunderts. Können Zukunftsbilder auch für tatsächlich dringend notwendige Erneuerungen sorgen?
Ja, aber immer nur in Krisensituationen. Im Neoliberalismus gibt es immer die bewusste Strategie der Schocktherapie. Man will also, dass sich die Verhältnisse zuspitzen. In dichten Phasen der Geschichte werden die Strukturen verformbar (wie Eisen, das auf einmal geschmeidig wird), dann bilden sich wieder neue fixe Strukturen. Das geht in beide Richtungen. Wenn zum Beispiel ökologisch etwas passiert, kann sich innerhalb kurzer Zeit eine Umorientierung bilden, wo man sagt: Jetzt müssen wir schnell handeln.

Ist Zukunftsangst auch eine Frage der Haltung? Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt, in dem es den Menschen im Vergleich zu vielen anderen auf dem Planeten sehr gut geht. Gleichzeitig empfinden viele die Situation als unerträglich.
Man sollte über Ängste relativ entspannt reden. Es gibt auch eine Kulturgeschichte der Ängste. In jedem Jahrzehnt und in jedem Jahrhundert hat es immer große Ängste gegeben. Man könnte auch sagen, Angst zu haben und ängstlich zu sein ist das Normalste der Welt. Wenn Ängste etwas Produktives sind für unser Leben, dann sind Ängste auch etwas Produktives für die Gesellschaft. Indem wir über unsere Ängste reden, verständigen wir uns darüber, wer wir sind. Wir bräuchten eine Kultur, in der ein entspanntes und menschliches Reden über Ängste möglich ist. Jeder Mann und jede Frau hat Angst, zumindest manchmal. Ich habe ja auch Angst vor möglichen Zukünften, jeder hat Angst. Warum sollte nicht jemand wie ich, der in einer NGO mitarbeitet, in der Flüchtlingen geholfen wird, sagen: Ich verstehe die Angst vor einer Überfremdung, das ist menschlich. Aber ich frage dann auch den anderen: Verstehst du auch, dass man ein Herz für andere Menschen hat? Verstehst du auch, dass man Menschen, die sich in Lebensgefahr befinden und die vor Terror fliehen, helfen muss? Wenn wir so einen Diskurs viel entspannter führen würden, könnten wir viel schneller zu produktiven Lösungen kommen. Und die Lösung ist immer ambivalent, wir brauchen nicht diese Schwarz-Weiß-Diskurse. Es braucht einen produktiven Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen.

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach dabei die Medien?

Die Medien haben meist eine Fokussierung auf Sensation. Eine der schlimmsten Sachen ist, wie über die Terrorattentate berichtet wird. Das ist aktive Angstmache. Man sollte viel ruhiger, nicht ängsteverstärkend darüber reden. Am heutigen Tag sterben wahrscheinlich einige Tausend Menschen an Hunger und niemand hat Lust, sensationell darüber zu berichten. Aber gleichzeitig muss man auch sagen, dass es in dem sogenannten postfaktischen Zeitalter auch eine Wiederbesinnung zu qualitativ hochwertigem Journalismus gibt. Das kann mittelfristig die Seriosität im Medienbereich wieder erhöhen.

Braucht es für eine große Veränderung auch große Teile der Bevölkerung?
Erneuerungsprozesse richten sich immer an einen kleinen Teil der Bevölkerung. Wenn ein kleiner Teil Stimmung für gesellschaftliche Innovationen machen kann, dann genügt das schon. Die Mehrheit rennt dann am Schluss nach. In Österreich haben wir zum Beispiel ein hohes ökologisches Bewusstsein. Am Anfang waren das sehr kleine Minderheiten. Jede soziale Bewegung ist aus Minderheiten entstanden.

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