Die Krise folgte dem Ersten Weltkrieg auf dem Fuß – eine kaum vorstellbare Zeit der Not

Klaus Heitzmann (Tamsweg) und Arnold Pritz (Mariapfarr) stöbern in der "Tauernpost" aus 1918. Die dramatische Zeit des Umbruchs wird dort eindrucksvoll festgehalten. Anlässlich des heurigen Jubiläums "100 Jahre Republik Österreich" haben die beiden Historiker die Bezirksblätter an ihrem Fachwissen teilhaben lassen und schildern, wie die Lage nach Kriegsende 1918 im Lungau war.
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  • Klaus Heitzmann (Tamsweg) und Arnold Pritz (Mariapfarr) stöbern in der "Tauernpost" aus 1918. Die dramatische Zeit des Umbruchs wird dort eindrucksvoll festgehalten. Anlässlich des heurigen Jubiläums "100 Jahre Republik Österreich" haben die beiden Historiker die Bezirksblätter an ihrem Fachwissen teilhaben lassen und schildern, wie die Lage nach Kriegsende 1918 im Lungau war.
  • hochgeladen von Peter J. Wieland

LUNGAU (pjw). "Das Jahr 1918 war ein Schlüsseljahr weltweit. Österreich schrumpfte vom Vielvölkerstaat auf ein Zehntel seiner Größe zusammen. Anders als die anderen neuen Nationalstaaten, die nach dem Ersten Weltkrieg aus der K.u.K. Doppelmonarchie hervorgingen, bekam Österreich die Kriegsschuld aufgeladen", fasst der Historiker Klaus Heitzmann (Direktor BG Tamsweg) zusammen. Sein Kollege Prof. Arnold Pritz führt aus: "Mit dem Gebietsverlust ging der Zugang zu wichtigen Ressourcen verloren, wie etwa die Kohleminen und Getreidefelder in Böhmen und Galizien. Man hielt die junge Republik so nicht für lebensfähig. Erschwerend war, dass die anderen Nachfolgestaaten ihre Grenzen zu Österreich sperrten." "Politisch ein ähnliches Bild", führt Heitzmann aus, "die Leute hatten ihr Identitätsbewusstsein verloren: der Krieg war verloren, Kaiser Karl dankte ab, die Republik wurde von heute auf morgen aufgestülpt; hinzu kam die Angst vor einem kommunistischen Umsturz. Zudem wütete die Spanische Grippe ab Mitte 1918."

Rückzug durch den Lungau

Ein Kampfschauplatz war der Lungau zwischen 1914 und 1918 nicht. Nach Kriegsende herrschten aber auch hier große Not und Hunger. Die beiden Historiker berichten: "Im Oktober 1918 kam es zum Zusammenbruch der Italienfront und es folgte ein ungeordneter Rückzug der alten Armee, der auch durch den Lungau führte. Es kam zu Plünderungen durch die hungrigen Truppen. Zwar wurde auch im Lungau überlegt, ob Feldwehren aufgestellt werden sollten, allerdings kam es dazu nicht."

Mangelwirtschaft im Lungau

Die Versorgung blieb nach dem Krieg weiter prekär. Güter und Waren wurden rationiert. "Die Bauern waren verpflichtet, ihre Waren und Produkte an die regionalen Wirtschaftszentralen abzuliefern", schildert Pritz. "Geleitet wurden diese von Getreidekommissaren, die behördlich ernannt worden waren, oft waren es Lehrer, wie etwa die Tamsweger Anton Guggenberger und Regierungsrat Franz Haas", fügt Heitzmann an. "Ob der strikten Rationierungen und landwirtschaftlichen Abgabepflicht war der Unmut groß, die Getreidekommissare erhielten nicht selten sogar Drohbriefe."

Wertlose Kriegsanleihen

Zwischen 1914 und Kriegsende zeichneten viele Lungauer Kriegsanleihen. "Das brachte die Leute um ihre gesamten Ersparnisse, Versicherungen und Vorsorgen", konstatiert Heitzmann. "Die Auszahlung der Anleihen erfolgte zwar – aber wann!? 1922/1923 wurde ausgezahlt, in einer Zeit der Hyperinflation. Das Kapital der Lungauer war größtenteils verloren."

Die politische Lage ab 1919

Die Lage im Lungau wurde stetig prekärer. „Die Nahrungsmittelversorgung konnte nur mit amerikanischen Hilfspaketen und Ausspeisungen gestützt werden. Der Unmut der Lungauer wuchs, es kam sogar zu Korruptionsvorwürfen in Richtung der Zentralverwaltung in Salzburg", erzählt Pritz aus der Geschichte. "1921 kam es in Salzburg sogar zu einer Abstimmung, bei der rund 90 Prozent für den Anschluss an Deutschland stimmten, was aber verboten war." Heitzmann: "Das deutsch-nationale Denken war fest in den Köpfen vieler Lungauer verankert, man betrachtete die sozialdemokratisch geführte neue Republik unter Kanzler Renner mit großer Skepsis, obwohl in dieser schon damals vieles politisch modernisiert wurde. So etwa waren bei den ersten Landtags- und Nationalratswahlen 1919 Frauen wahlberechtigt; auch arbeitsrechtlich wurden in der Republik – durch die damalige Vormachtstellung der Sozialdemokratie – wesentliche Meilensteine gesetzt."

Sündenbock waren die Juden

Die Lage spitzte sich zu. "Ein Sündenbock musste her", schildert Heitzmann weiter: "Die Juden wurden als die Verursacher allen Übels stigmatisiert." Pritz ergänzt: "Auch in den damaligen Zeitungen des Landes Salzburg wurde dieses antisemitische Bild offensiv gezeichnet. Die Propaganda in den Medien vermittelte bis August 1918 noch den Glauben an einen siegreichen Krieg.“ Heitz-mann erklärt: "Das Potenzial des Antisemitismus keimte schon die Jahrhunderte davor immer wieder auf, nach 1918 kam dieser dann gänzlich zur Oberfläche und manifestierte sich schließlich in den Folgejahrzehnten bis zu Vernichtungslagern der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg."

Gau tendierte zu Deutschland

Nach den Wahlen 1919 zeigte sich in den Lungauer Landgemeinden eine vorwiegend christlich-soziale Gesellschaftsstruktur, wobei in den Märkten Tamsweg, Mauterndorf und Sankt Michael ein deutsch-nationales Bürgertum vorherrschte. "Die Vorgängerpartei der späteren NSDAP, die DAP, erreichte 1919 in Tamsweg bereits 13 Prozent", sagt Klaus Heitzmann und betont abschließend: "Der nächste Konflikt war schon nach Kriegsende vorprogrammiert, es war keine Friedenszeit, sondern eine Zwischenkriegszeit. Man bedenke: Europa brauchte noch fast ein halbes Jahrhundert, um sich von den Folgen beider Weltkriege zu erholen und zu konsolidieren – bis zum Abzug der Besatzungstruppen im Jahre 1955."

Gefallene im Krieg und Spanische-Grippe-Tote

Im Ersten Weltkrieg fielen 563 Lungauer, das entspricht rund vier Prozent der Gesamtbevölkerung von 1910. Gefallene nach Gemeinden: Tamsweg (126), Göriach (19), Lessach (19), Mariapfarr (62), Mauterndorf (43), Muhr (39), Ramingstein (58), Sankt Andrä (13), Sankt Margarethen (26), Sankt Michael (52), Thomatal (19), Tweng (8), Unternberg (24), Weißpriach (7), Zederhaus (48). (Quelle: Klaus Heitzmann)
" Die Spanische Grippe – im Lungau als 'Die Seuch' bezeichnet – zog im Sommer 1918 nach Europa, kam im Oktober nach Salzburg und erreichte ab November den Lungau. Jede Gemeinde der Region war betroffen. Was viele nicht wissen: im Ersten Weltkrieg starben rund elf Millionen Menschen an den Fronten, der Spanischen Grippe fielen weltweit in etwa 20 Millionen zum Opfer." Heitzmann ergänzt zwei Beispiele aus dem Lungau: „In Tamsweg gab es 27 Grippetote innerhalb einer Woche, in Unternberg waren es insgesamt 19."

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