Eine Generation bricht ihr Schweigen
Salzburger Bildungswerk verschriftlicht Interviews mit letzten Zeitzeugen der Kriegs- und Nachkriegszeit.
"Mich hat am meisten berührt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Menschen in der Kriegs- und Nachkriegszeit ihr karges Leben gelebt haben und wie versöhnt sie heute auf diese schwere Zeit zurückblicken", sagt Heidelinde Kahlhammer. "Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich an manche ihrer Erzählungen denke und an die Tatsache, dass ich es in vielen Fällen war, die diese Geschichten zum ersten Mal gehört hat." Die ehemalige Bezirksschulinspektorin und Geschichtelehrerin widmete die vergangenen fünf Jahre den letzten Zeitzeugen der Kriegs- und Nachkriegszeit in allen Bezirken Salzburgs.
Ihre Geschichte miterleben
In Anregung des Salzburger Bildungswerkes wurden zwischen 2012 und 2014 26 Personen im Lungau und 311 salzburgweit interviewt, um deren Erinnerungen aufzuzeichnen. Ziel war es, in allen Salzburger Gemeinden Personen, die 80 Jahre oder älter waren, aufzusuchen, um ihrer Biographie nachzuspüren und somit einen Teil der Alltagsgeschichte dieser Generation zu dokumentieren. Ihre Lebensgeschichten wurden per Video aufgezeichnet und ausgestrahlt. Jetzt wurden aus dem Film Transkriptionen erstellt, um die Interviews in Buchform allen Interessierten zugänglich zu machen. Für die Überarbeitung der Rohberichte aus allen Bezirken sowie für 40 Interviews im Pongau zeichnete Heidelinde Kahlhammer verantwortlich.
"Es war fünf vor Zwölf"
"Wir hätten mit diesen Aufzeichnungen nicht länger warten dürfen, denn viele der Senioren sind bereits kurz nach den Interviews verstorben und mit ihnen wäre ein wichtiges Stück Zeitgeschichte verlorengegangen", so Kahlhammer, deren größte Herausforderung es war, die Interviews von der Erzählsprache in die Buchsprache zu "übersetzen" und dabei die Authentizität der Sprechenden zu wahren. „Schwierig war auch der Umgang mit den unterschiedlichen dialektalen Färbungen. Ich als Kärntnerin hatte mit dem Lungauerischen keine Problem, habe Kollegen aus der Stadt haben etliche Male falsch 'übersetzt', was die Interviewten aber schnell erkannt und korrigiert haben“, lacht Kahlhammer.
Wie eine Gesprächstherapie
Die Interviewpartner aus dem Lungau erzählten viel über die große Kargheit des Lebens und den Kampf mit der Naturgewalt der Lawinen. Nach dem Krieg wussten viele Geschichten vom touristischen Aufschwung in Obertauern zu berichten. "Eine Bäuerin erzählte mir, dass sie 40 Jahre nicht aus der Küche herausgekommen ist, während ihr Mann als galanter Wirt mit den Gästen auf Almhütten wanderte, Kutschenfahrten unternahm und musizierte", erinnert sich Kahlhammer. "Viele Männer erzählten mir dagegen vom Krieg und von der Gefangenschaft. Ein Bad Gasteiner ist mir besonders in Erinnerung geblieben, der mir zurückmeldete, nach unserem Gespräch das erste Mal nach dem Krieg wieder durchgeschlafen zu haben. Diese Menschen tragen bis heute viel Leid und schreckliche Erinnerungen mit sich herum. Für manche waren unsere Interviews wie eine Therapie."
Geschichte war nie so authentisch
Jetzt können die Bücher unter dem Namen "Das war unsere Zeit" im Buchhandel erworben werden. "Die Bücher sollen den Schulen zugänglich gemacht werden. Schließlich ist Geschichte nie authentischer als in den Lebensumständen einer ganzen Generation."
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