Gedenkjahr 2018: Orte der Erinnerung
Zwei Jahre lang hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Wiener Erinnerungsorte für die Opfer des Austrofaschismus und Nationalsozialismus erforscht.
WIEN. Ein sogenannter "Erinnerungsboom" sei in Österreich vor allem immer dann zu beobachten, wenn ein "Jubiläum" – also etwa eine runde Zahl an Jahrzehnten – geschrieben wird. Und genau so ein Jahr ist 2018. Neben dem 100-jährigen Jubiläum der Republiksgründung inkl. Einführung des Frauenwahlrechts jährt sich heuer auch eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte zum 80. Mal: der sogenannte "Anschluss" an Nazi-Deutschland im Jahr 1938.
Dass dieses Gedenkjahr just mit einem Skandal um ein Burschenschafts-Liederbuch mit Nazi-Texten begonnen hat, mag nicht so ganz in das Bild des aufarbeitenden Österreichs passen. Und dennoch: Auch die schwarz-blaue Regierung wird heuer mit diversen Veranstaltungen und Auftritten der Opfer des nationalsozialistischen Regimes gedenken, aber zu einem "Boom" – etwa der Errichtung neuer Denkmäler – werde es, zumindest auf Bundesebene, nicht kommen, vermutet Politikwissenschaftler Mathias Lichtenwagner von der Uni Wien. Er war Teil eines interdisziplinären Forschungsteams, das sich im Auftrag des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) zwei Jahre lang mit Erinnerungsorten bzw. Erinnerungszeichen in Wien befasst hat.
Im Team waren unter anderem auch Landschaftsarchitektinnen und -architekten vertreten, was dazu geführt hat, dass sehr intensiv mit Karten gearbeitet wurde. Das Ergebnis: eine interaktive, digitale Karte von Wien, in der man nach verschiedensten Filter-Kategorien Erinnerungsorte bzw. -zeichen nachschlagen kann. Diese Karte ist zwar noch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar, aber die Erkenntnisse werden gerade Stück für Stück in die offizielle Online-Plattform "Wien Geschichte Wiki" eingepflegt, denn man wolle der Zivilgesellschaft Wissen zurückgeben, so Lichtenwagner.
Detektivische Arbeit
Dabei hat das Forscherteam nahezu "archäologische" bzw. detektivische Arbeit geleistet. Denn: Entgegen ihrer Erwartungen gab es in Wien – aus unterschiedlichen Gründen – kein aktuelles, zentrales Register, in dem sämtliche Erinnerungsorte erfasst wären. So bestand die Arbeit zu weiten Teilen daraus, die Stadt auf der Suche nach diesen Erinnerungsorten zu durchstreifen und diese zu erfassen. 1.800 derartiger Plätze wurden identifiziert. Darunter fallen etwa Gedenktafeln, Skulpturen, permanente Ausstellungen, Parknamen, Denkmäler oder Steine der Erinnerung – wie man sie in vielen Bezirken an den Arbeits- bzw. Wohnorten deportierter bzw. ermordeter Jüdinnen und Juden findet. Und das markiert auch einen Wendepunkt: Waren frühere Erinnerungsorte oft in der Peripherie, etwa am Zentralfriedhof, angesiedelt, wurden mit der Verlegung der Steine der Erinnerung ab 2005 erstmals in größerer Anzahl dezentrale Erinnerungsorte, verknüpft mit Daten und Namen der Schoah-Opfer – derer bisher vor allem namenlos gedacht wurde –, über die ganze Stadt verteilt.
Zur Sache:
Die bz wird im Laufe des Gedenkjahres 2018 zusammen mit dem Forschungsteam Erinnerungsorte in 23 Bezirken mit ihrer Geschichte vorstellen und hier sammeln.
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