Die Marien Apotheke: Solidarität statt Dolchstoßlegenden
Als erste ihrer Art kümmerte sich die Marien Apotheke um HIV-Patienten in Wien. Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber der Krankheit konnte dabei leider nicht mit dem rasanten medizinischen Fortschritt Schritt halten, beklagt die Inhaberin.
MARIAHILF. Als einer der ersten Frauen in Österreich studierte Doris Schmatt Pharmazie. In den frühen 1930er Jahren kaufte sie die Marien Apotheke damals von ihrem damlaigen Besitzer. Heute, rund 80 Jahre später, ist das Geschäft in der Schmalzhofgasse noch immer in Familienbesitz, unter der Leitung von Enkelin Karin Simonitsch zählt die Apotheke zu den wohl herausragendsten in ganz Österreich. Als erste Apotheke Wiens nahm man sich bereits in den 90ern der Behandlung von HIV-Patienten an, heute beschäftigt man vier gehörlose Mitarbeiter, darunter den ersten und einzigen gehörlosen Apotheker in ganz Österreich.
Schon Großmutter Schmatt sei dafür bekannt gewesen, Wiens jüdische Bevölkerung mit Medikamenten zu versorgen, auch wenn dies zu jener Zeit nur äußerst schwierig mit dem Gesetz zu vereinbaren war. In einer Mappe bewahrt Simonitsch noch heute alte Briefe und Postkarten auf, in welchen Juden die Apotheke um Unterstützung baten. Eines dieser Schriftstücke wurde in einem der Konzentrationslager verfasst, nur wenige Tage vor dem Tod ders Verfasserin. Den Anspruch, Solidarität mit jenen zu zeigen, welche in der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden, hat die Apotheke bis heute beibehalten.
Anfang der 90er begann Simonitsch sich vermehrt um Personen zu kümmern, welche mit dem HI-Virus infiziert waren und noch heute betreut sie einen Großteil von Wiens HIV-Patienten. Der Fortschritt, welcher sich seither in der Medizin vollzogen habe, sei "unglaublich", so die Inhaberin des "Mariechens". War "HIV-Positiv" damals noch ein so gut wie sicheres Todesurteil, ist es heute nicht mehr und nicht weniger als eine "chronische Krankheit", erklärt Simonitsch. Leider würden die "Dolchstoßlegenden" von damals, bei HIV-Infizierten handele es sich ausschließlich um "Junkies und Schwule", auch im Jahr 2017 noch umherkursieren. Nach wie vor werden Patienten in ein "schmuddeliges Eck" gestellt und auch ein "Outing" bleibt eine "problematische Angelegenheit", bemängelt die Geschäftsführerin. Ganz im Gegensatz zum medizinischen Fortschritt habe sich im Bereich der gesellschaftlichen Akzeptanz leider nur wenig getan.
"Ein stilles Dasein am Rande der Gesellschaft"
Um auch Gehörlosen einen möglichst einfachen Zugang zum Gesundheitssystem zu gewährleisten, besuchen sämtliche Mitarbeiter Kurse in Gebärdensprache bzw. beherrschen diese bereits. Von den rund 40 Angestellten in der Marien Apotheke sind vier gehörlos. Einer von ihnen ist David Iberer. 2007 begann er seine Lehre in der Marien-Apotheke und gilt seit 2010 als der österreichweit erste gehörlose pharmazeutisch-kaufmännische Assistent. Was viele nicht wissen, in Österreich gibt es in etwa so viele Gehörlose wie Blinde, erklärt Simonitsch: "Wenn man nicht sieht, verliert man den Kontakt zu den Dingen, wenn man nicht hört, verliert man den Kontakt zu den Menschen." Ein stilles Dasein am Rande der Gesellschaft sei leider oftmals die Folge.
Dass Simonitsch überhaupt mal in einer Apotheke steht, sei eigentlich nie Teil ihres Plans gewesen. "Eigentlich wollte ich das nicht", eher sollte es mal in Richtung Wirtschaft oder Jus gehen. Dass sie dann doch in der Pharmazie landete, bedurfte es einer kleinen Motivation. Von familiärer Seite versprach man ihr zur Sponsion einen Opalring - "damals war ich noch käuflich", fügt Simonitsch grinsend an. Später habe sie den Ring zurückgegeben, denn als Apothekerin, so sagt sie heute, habe sie ihren "Traumjob" gefunden.
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