NS-Justiz: (Un)sichtbare Orte des Unrechts
Am Neubau betrieben die Nazis in der Hermannsgasse 38 ein Gefängnis. Dort hängt – im Gegensatz zu anderen Orten – eine Gedenktafel. Es war ein zentraler Bestandteil des Unrechtsregimes.
NEUBAU. Was am Neubau schon Realität ist, wird derzeit auf der Wieden geprüft: Das dortige Bezirksparlament hat sich vor Kurzem dafür ausgesprochen, an dem Haus in der Schwendgasse 8 eine Gedenktafel anzubringen. Dort befand sich während des Nationalsozialismus ein Militärgericht der Luftwaffe, das bis 1945 mehr als 1.100 Todesurteile ausgesprochen hat. Bis jetzt deutet allerdings nichts auf die Geschichte dieses Hauses hin. Inzwischen ist dort die bulgarische Botschaft untergebracht.
Auch am Neubau befand sich von 1938 bis 1945 ein zentrales Gebäude der nationalsozialistischen Militärjustiz: das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Wien-Neubau (WUG VII). Das Haus in der Hermannsgasse 38 war Teil des Regimes, das Deserteure, Selbstverstümmler, Saboteure, Wehrdienstverweigerer und viele andere verfolgte. Seit Mai 2014 trägt es eine Infotafel, die seine Geschichte während der NS-Zeit erzählt.
Mathias Lichtenwagner ist Wissenschaftler am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und befasst sich dort mit der NS-Militärjustiz in Wien. Auch ihm ist die Schaffung von Gedenktafeln und anderen Hinweisen auf das NS-Terrorregime ein Anliegen: "Der Erfolg des Deserteursdenkmals am Ballhausplatz zeigt, wie wichtig solche Gedenkorte sind." In Wien habe es ein regelrechtes Netzwerk der Militärjustiz gegeben, so Lichtenwagner: "Nach dem ‚Anschluss' Österreichs musste die Militärjustiz in Wien Räumlichkeiten finden. Deshalb gibt es in vielen Bezirken Spuren davon." So etwa am Neubau. In Favoriten war die Zentrale des NS-Haftsystems untergebracht, in Kagran wurden Hinrichtungen durchgeführt.
Unterschiedliche Motive
Tausende Soldaten, aber auch Zivilpersonen, die der Fahnenflucht, der "Wehrkraftzersetzung", des Kriegsverrats oder anderer Vergehen verdächtigt wurden, wurden in dem Gefängnis am Neubau inhaftiert.
Die Motive zum Desertieren seien vielschichtig gewesen, so Lichtenwagner. "Unter den Deserteuren sind Christen, die den Wehrdienst aus moralischen Gründen verweigert haben, aber auch überzeugte Nationalisten, die gegen Ende des Krieges keinen Sinn im Weiterkämpfen gesehen haben." Aber nicht nur Deserteure, sondern auch aktive Widerstandskämpfer wurden am Neubau inhaftiert bzw. im 4. Bezirk verhört.
"Zum Beispiel eine Flakoberhelferin aus der Steiermark, die Teil einer kommunistischen Widerstandsgruppe war", erzählt Lichtenwagner. "Sie wurde gegen Ende des Krieges zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde aber nicht vollstreckt."
Die Aufarbeitung der NS-Militärjustiz verlief in Österreich stets schleppend. "Nach 1945 wurden drei Militärrichter in Österreich angeklagt. Keiner von ihnen wurde verurteilt", so Lichtenwagner. Erst im Jahr 2002 wurden Deserteure und Wehrdienstverweigerer vom Nationalfonds als Opfer des NS-Regimes anerkannt. Und erst 2009 erklärte der Nationalrat alle Urteile der NS-Militärjustiz für ungültig und rehabilitierte die Opfer. Lichtenwagner rät dazu, sich auch in den Bezirken mit dem Thema zu beschäftigen: "Ich habe in Wien 25 Orte gefunden, an denen die Militärjustiz der Nazis eine Rolle gespielt hat. Längst nicht alle tragen eine Gedenktafel."
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