Neusiedler Student in Kanada: Digitales lernen am Ende der Welt
NEUSIEDL/SEE. Wie kann man anhand von Chatprotokollen das Terrorpotential eines Menschen feststellen? Wie erstellt man die digitale Ausgabe eines Buchs? Was tut man, wenn man ein Manuskript findet, aber nicht bestimmen kann, wer es geschrieben hat? Wie findet man Menschen, die einem bei einem solchen Projekt helfen können? Mit diesen und vielen weiteren Fragen setzen sich Geisteswissenschaftler aus aller Welt am „Digital Humanities Summer Institute“ (DHSI) in Victoria, Kanada, Mitte Juni auseinander. Das DHSI ist eine der größten Veranstaltungen seiner Art weltweit. 850 Studenten, Professoren, Wissenschaftler treffen sich in der Hauptstadt Britisch Kolumbiens auf Vancouver Island für zwei Wochen zu Workshops und Präsentationen.
Neusiedler Literaturwissenschaftler dabei!
Zu dieser bunten Internationalität trägt auch ein Neusiedler bei. Dominic Horinek, Student der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Studienassistent auf der Akademie der Wissenschaften, hat zwei Stipendien zur Teilnahme an Workshops gewonnen. „Ich empfinde es als großes Privileg hier sein zu dürfen. Man trifft viele liebe Menschen, die tolle Projekte haben, mit denen sie die Welt bereichern wollen. Man lernt viel in den Workshops, aber auch voneinander. Am besten in informellen Rahmen.“, erzählt Horinek. Wie er nach Kanada kam? „Ich habe letztes Jahr an einer Summer School in Leipzig teilgenommen, der DHSI recht ähnlich, und dort viele Leute aus Victoria kennen gelernt. Hier werden etwas andere Kurse angeboten und der Rahmen ist viel größer. Man muss sich online für jeden Kurs bewerben, wenn man die Teilnahmegebühren erlassen bekommen haben will. Das hat zum Glück geklappt.“
Neue Wege
Es tut sich viel in den Geisteswissenschaften. Historiker, Literaturwissenschaftler, und andere entdecken immer mehr Methoden aus der Informatik für ihre Gebiete. Daraus ergeben sich auch neue Fragestellungen und Blickwinkel. Ist für manchen Germanisten die Auseinandersetzung mit Peter Handkes Werk eine Lebensaufgabe gewesen, so lassen sich heute Fragen, etwa nach der Größe seines Wortschatzes mit einem Programm in wenigen Sekunden beantworten. Auch Einflüsse eines Autors auf andere kann man so sichtbar machen. Dabei geht es aber nicht um das Ersetzen von Methoden und Ansätzen. Die Digital Humanities stellen eher eine Ergänzung dar.
Brisante Aktualität erhalten solche Experimente wenn man sie etwa auf Chatrooms anwendet, in denen Jugendliche für Terrororganisationen angeworben werden sollen. Durch statistische Analysen lassen sich radikale Einflüsse bis zur Quelle verfolgen. „Das ist alles sehr spannend, was hier passiert. Es treffen Informatiker auf Philosophen, Kunsthistoriker und andere. So kommen Leute zusammen, die sonst eher nicht miteinander reden würden. Und das ist das tolle! Ich selber beschäftige mich mit dem Erstellen einer digitalen Edition eines Buches. Die Professorin hier hat eine digitale Edition zu den Briefen von George Washington erstellt. Die ist gut!“
Digital in Österreich
Langsam entwickelt sich auch in Österreich eine Digital-Humanities-Szene. In Graz kann man sie seit heuer studieren. An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gibt ein Center für Digital Humanities. Vergangenes Jahr ging mit dem „Mann ohne Eigenschaften“ eine große digitale Edition online, die das Lesen des Buches samt Anmerkungen ermöglicht. Gratis und offen zugänglich. „So wie es sein sollte. Denn was wir machen, machen wir ja nicht um unser selbst willen. Wir versuchen das Wie und Warum des Menschen zu erklären. Jetzt auch mit digitalen Mitteln.“
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