Das Kriegsende vor 100 Jahren

Bürgermeister von Reutte und Landtagsabgeordneter, Engelbert Müller. | Foto: Archiv/Lipp
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  • Bürgermeister von Reutte und Landtagsabgeordneter, Engelbert Müller.
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Der Erste Weltkrieg hatte massive Auswirkungen auf das Hinterland, die sogenannte „Heimatfront“, an der vor allem die zurückgebliebenen Frauen mit ihren Kindern unsäglich litten. Das Jahr 1918 begann und endete auch hier mit Schrecken!

Hunger herrschte überall

Schon Ende 1917 verschärfte sich die Ernährungslage dramatisch. Zu Beginn des Jahres 1918 war klar, dass vor allem der Mangel an Mehl und Brot katastrophal werde. War die Ernährungslage im gesamten Bezirk schon schlecht, so spitzte sie sich besonders in Reutte dramatisch zu.
Im April 1918 musste die Regierung einbekennen, dass die Lager leer sind. Die Situation verschärfte sich außerdem, weil der Sommer des Jahres 1918 sehr regenreich und die Kartoffelernte daher schlecht war. Minderbemittelte Familien schickten ihre Kinder bereits in die öffentliche „Suppenanstalt“.
Am 17. Mai 1918 traf der kaiserliche Statthalter Rudolf Graf Meran in Reutte ein, um sich von sämtlichen Bürgermeistern und Gemeindevorstehern sie Lage schildern zu lassen. Engelbert Müller wies ihn darauf hin, dass der Bezirk Reutte seit nunmehr zwölf Wochen ohne Brot und Mehl sei.
Der Statthalter versprach zwar Abhilfe, aber es änderte sich nichts. Am 14. August 1918 traf die letzte Mehllieferung in Reutte ein: pro Kopf nur ein halbes Kilogramm.

„Mehlunruhen“ der Frauen in Reutte

Am 12. März 1918 kam es zu den sogenannten „Mehlunruhen“. Rund 100 bis 150 aufgebrachte Frauen demonstrierten vor der Bezirkshauptmannschaft. Dieser Auflauf nahm ernste Formen an, als sich die Demonstrantinnen in Richtung des heimischen Lebensmittellagers bewegten und dieses zu stürmen drohten. Die Gendarmerie musste aufgeboten werden.
Diese Protestaktion der Frauen wiederholte sich am 20. Juli 1918 in weniger stürmischer Weise, als sich wiederum etwa 150 bis 200 Frauen vor der Bezirkshauptmannschaft versammelten und um Mehl baten.
Ein neuerlicher Protestaufmarsch am 31. Juli 1918 stand unter der Führung des Bürgermeisters Engelbert Müller, der anschließend dem Bezirkshauptmann, Dr. Karl Peer, unmissverständlich kundtat, dass die letzten Zuweisungen von Lebensmitteln kaum für zwei Tage ausreichten, und die Leute schon derart hungern müssten und ohne baldige Hilfe Hungers sterben müssten.
Ein Unglück kommt selten allein! Zu allem Unglück brach kurz vor Kriegsende am 21. Oktober 1918 in Reutte eine Grippeepidemie aus, die bis zu ihrem Erlöschen am 13. November 15 Todesopfer forderte.

Bayerische Soldaten in Reutte

Die Nachricht vom Waffenstillstand mit Italien am 3. November 1918 machte die deutsche Heeresführung misstrauisch, die am 7. November 71 Soldaten nach Reutte einmarschieren ließ. Tags darauf folgten weitere 650 Mann. Als schließlich dann am 10. November die revolutionäre „Republik Bayern“ ausgerufen wurde, rissen die bayerischen Soldaten die preußischen Kokarden von den Mützen, stellten Soldatenräte auf und übten willkürlich die Jagd auf bayerischem Gebiet aus. Am selben Tag kam über den Fernpass eine Kompanie bayerischer Jäger und eine Kraftwagenkolonne zurück, die teilweise ihre Gewehre verkauften. Tags darauf marschierten die bayerischen Truppen nach Pfronten ab.

Sorge um die Sicherheit

Die Auflösung der Monarchie schritt unaufhaltsam voran. Überall waren Unruhen zu befürchten. Im Außerfern war der Hauptort Reutte am meisten gefährdet. Am 6. November 1918 beschloss die Reuttener Gemeindevertretung zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung eine Gemeindewache von zwanzig Mann aufzustellen.

Gründung der Sozialdemokratischen Partei

Der Bezirk Reutte war der einzige Bezirk Tirols ohne sozialdemokratische Organisation. Zum Aufbau ihrer Parteistrukturen wurde eine Volksversammlung am 21. Dezember 1918, im Hotel „Hirschen“ in Reutte veranstaltet, zu der trotz des einsetzenden Schneefalls rund 400 Personen erschienen. Am Sonntag, 22. Dezember 1918, wurde dann die sozialdemokratische Parteiorganisation für Reutte und Umgebung gegründet.
Diese Versammlung vom 21. Dezember 1918 erregte aber überregionales Aufsehen. Ohne Wissen der Landesregierung wurden zur Sicherheit 22 Gendarmen nach Reutte beordert.

Der Krieg ist aus – die Sorgen werden noch größer

Der Ruf für „Gott, Kaiser und Vaterland“ war verklungen und der Krieg verloren. Zurück blieben Witwen, Waisen, Kriegsheimkehrer und Kriegsgefangene, für die sich niemand mehr so richtig zuständig fühlen wollte. Das Außerfern hatte im Ersten Weltkrieg 758 Tote zu beklagen.
Die Soldaten – einst mit Musikklängen verabschiedet – kamen in eine ausgeblutete, vom Hunger ausgezehrte Heimat zurück, die auch bald noch von inneren Zwistigkeiten zerrissen werden sollte.

Dr. Richard Lipp

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