Paulus Hochgatterer: Von Helden und schweren Schicksalen

Paulus Hochgatterer erzählt von einem Schlüsselereignis. | Foto: Talkner
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TULLN (bt). "Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“, diesen Titel trägt das neue Buch von Paulus Hochgatterer. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs taucht auf einem Bauernhof in Niederösterreich die 13-jährige Nelli auf - verstört und ohne Erinnerung. Es entwickelt sich eine Geschichte über Angst, Sehnsucht und den Alltag im Krieg.
Die Bezirksblätter haben den Primar der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tulln zum Interview gebeten und mit ihm über ein zentrales Schlüsselereignis, Helden und schwere Schicksale gesprochen.

Was macht einen Helden für Sie zum Helden?
PAULUS HOCHGATTERER: Für mich sind Helden Menschen, denen es gelingt, trotz herrschenden Konventionen, Mehrheitsmeinungen und Haltungen die der Zeitgeist vorgibt, bei ihren eigenen Überzeugungen zu bleiben. Da meine ich Dinge, die mit einer Vorstellung von einer besseren Welt zu tun haben.

Und wer entspricht diesem Ideal?
Ein Beispiel ist Ute Bock. Ich hatte auch die Ehre und das Vergnügen sie kennenzulernen, in einer Zeit in der sie noch das Lehrlingsheim im 10. Wiener Gemeindebezirk geleitet hat. Da hat sie einfach Burschen aufgenommen und betreut, die sonst im Leben kaum etwas hatten. Die keine Familien hatten, die ihnen Halt gegeben hätten. Denen hat sie Halt, Sicherheit und Orientierung gegeben. Das hat mich sehr beeindruckt. Sie ist eine Frau die bei dieser Haltung geblieben ist und das hat für mich etwas Heldenhaftes.

Ist das Heldendasein etwas das Sie auch für sich selbst anstreben?
Das habe ich angestrebt als ich ein kleiner Bub war. Als ich die Bücher mit den Heldensagen gelesen habe und mich an den Helden orientiert habe. Damals ja, aber das ist in der kindlichen Entwicklung oft so. Dass es eine Phase gibt, wo man Figuren braucht, die man idealisieren kann.

Was hat Sie schließlich zu Ihrer Geschichte inspiriert?
Das waren mehrere Dinge. Auf der einen Seite das Erkennen und das hat vermutlich mit dem Tod meines Vaters zu tun, der einige Monate zurückliegt. Das Erkennen, dass ich einer Generation angehöre, deren Eltern jetzt stirbt. Und mit dem Verschwinden der Eltern, verschwinden auch die Geschichten, die die Eltern erzählt haben. Wenn diese Geschichten nicht aufgeschrieben und erzählt werden, sind sie einfach weg. Das wäre meines Erachtens sehr bedauerlich. Denn, und damit komme ich direkter zum Buch, die Geschichten waren zu einem ganz großen Teil Geschichten, die in der Zeit spielen in der auch dieses Buch spielt. Während dem zweiten Weltkrieg, in der Zeit des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches.
Das Weitere ist einfach ein autobiografischer Bezug. Im engeren Sinn ein Ereignis in der Familie meiner Mutter, das man so nennen könnte: "Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war.“ Meine Mutter ist auf einem mostviertler Bauernhof aufgewachsen, ihr Vater war ein mostviertler Bauer wie man ihn sich vorstellt. Ein tüchtiger, fleißiger ansonsten aber eher wortkarger und hagerer Mann, der Anfang 1945 konfrontiert war, mit einer kleinen Einheit an Soldaten der deutschen Wehrmacht. Dem Offizier einer kleineren Einheit hat an einem russischen Ortsarbeiter etwas nicht gefallen. Der hat etwas gesagt oder etwas getan was diesen Offizier veranlasst hat, den Mann standesrechtlich erschießen zu wollen. Ich weiß nicht ob mein Großvater sonst auch ein mutiger Mensch war, aber in dieser Situation hat er sich dem Offizier in den Weg gestellt und auf mostviertlerisch gesagt: „Schamans Ihna net?,“ also „Schämen Sie sich nicht?" Der Offizier hat den Mann daraufhin nicht erschossen, so die Erzählungen meiner Mutter.

Haben Sie diese Erzählungen geformt?
Wenn man selber so etwas wie eine Berufung in sich spürt, Geschichten zu erzählen, fragt man sich woher das kommt. Die Tatsache, dass mir Geschichten erzählt wurden, hat mich und mein eigenes Erzählen sicher geformt. Meine Eltern waren nicht die einzigen Erzähler meiner Kindheit. Ich hatte das Glück in einer Umgebung aufzuwachsen in der viel erzählt wurde.

Sie sind im Zuge ihrer Arbeit mit vielen schweren Schicksalen konfrontiert – verarbeiten Sie diese in Ihren Büchern?
Das lässt sich erstens nicht vermeiden und zweitens will ich das auch nicht vermeiden. Das darf man nicht missverstehen, das führt natürlich nie dazu, dass ich eins zu eins die Geschichten die ich hier erfahre oder erlebe in meinen Büchern niederschreibe. Aber natürlich ist das so, wenn man mit teils schrecklichen, teils absurden und teils sehr lustigen Geschichten täglich zu tun hat, schlägt sich das nieder.

Was wäre, wenn Sie dieses Ventil nicht für sich entdeckt hätten?
Es ist kein Ventil. Solange ich mich erinnern kann, hat es immer beides geben. Das Interesse an Menschen, auch an Menschen die gewisse Besonderheiten aufweisen, und das Bedürfnis zu erzählen. Ich kann mir mich selbst nicht vorstellen, ohne beide Dinge. Würde mir das Erzählen verboten, wäre das fürchterlich. Würde mir der Umgang mit Kindern und Jugendlichen verboten, wäre das genauso fürchterlich.

Haben Sie auch die Inspiration für ihre 13-jährige Hauptfigur Nelli hier gefunden?
Die Nelli ist ein erfundenes Mädchen das keine direkte autobiografische Wurzel hat. Aber sie ist natürlich eine Figur, in die all die traumatisierten und sprachlos gewordenen oder gemachten Kinder und Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, einfließen.

Wie viel Zeit bleibt überhaupt zum Schreiben?

Zu wenig. Ich schreibe halt in der Zeit die überlicherweise Freizeit heißt.

Ihr Werk hat ein offenes Ende. Wir fragen Sie als Psychiater, entsteht da keine Frustration?
Naja, sie geht weg von dort. Offene Enden kann man so oder so sehen. Wenn man kein vorgeformtes Ende hat, kann das natürlich frustrierend sein. Auf der anderen Seite bedeutet ein offenes Ende auch, dass man sich selbst als Leser auch ein Ende herbei erzählen kann. Oder, was bei der Geschichte auch zutrifft, es kann ja auch heißen, dass das Ende dieser Geschichte den Anfang einer nächsten bedeutet. Könnte ja sein, dass es ein Fortsetzungsbuch gibt.

Etwa schon in Arbeit?
Ja, es könnte sein, dass es schon in Arbeit ist.

Paulus Hochgatterer erzählt von einem Schlüsselereignis. | Foto: Talkner
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