"Macht und Abhängigkeit sind omnipräsent"

Foto: Cornelia Grobner
6Bilder

Sie thematisieren in Ihren Romanen die Vielschichtigkeit von Abhängigkeiten, Machtverhältnisse und Obsessionen in Beziehungen. Was interessiert Sie an deren Ausloten?
SABINE M. GRUBER:
"Im Leben geht es immer um Beziehungen – ob das Zweier-Beziehungen, Eltern-Kind-Beziehungen oder berufliche Beziehungen sind. In der 'heutigen Zeit' geht die Tendenz dahin, den Menschen isoliert zu betrachten. Man macht uns weis, dass wir allein existenzfähig sind und Ziel sei, autark zu werden. Aber das ist eine Illusion. Wir sind immer voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Die vollkommen gleichberechtigte Beziehung ist die Ausnahme, denn es besteht immer Gefahr zur Schieflage. Einer hat meistens die Oberhand oder strebt unbewusst oder bewusst danach."

Sie sind auch als Lebens- und Sozialberaterin tätig und erleben Beziehungsstrukturen sozusagen aus erster Hand. Sind Ihre Figuren einzelne von vielen oder doch Extremfälle?
SABINE M. GRUBER:
"Meiner Erfahrung nach sind meine Figuren keine großen Ausnahmen. Es ist natürlich immer eine Roman-Wirklichkeit, aber Quelle und Inspiration finde ich in der Realität. Im Roman ist diese aber immer verdichtet, wodurch sie verfremdet wird. Aber oft wird das Resultat dieses Kunstgriffes dann wirklicher als die Wirklichkeit."

Wie nah sind Ihnen die Figuren? Wachsen Sie Ihnen im Schreibprozess ans Herz? Sind Sie Ihnen sympathisch? Oder halten Sie diese auf Distanz?
SABINE M. GRUBER:
"Das ist sehr schwer zu beschreiben, es ist ein Abwechseln von totaler Nähe und Distanz. Ich lebe mit ihnen und habe Verständnis für sie. Aber sie entwickeln immer auch ein gewisses Eigenleben. Meine Figuren sind nicht immer perfekt oder entsprechen einem feministischen Ideal. Ich hörte zum Beispiel den Vorwurf, warum ich Cindy aus der 'Chorprobe' so passiv geschrieben habe und warum sie dem Wahnsinn nur durch eine weitere Beziehung und nicht durch sich selbst entkommt. Aber meine Figuren sind Menschen wie du und ich. Cindy ist eben erst 29 Jahre und ich versuche in gewisser Weise ihren Unwissenheitsstandpunkt einzunehmen."

Eine momentan populäre Beziehungsgeschichte rund um Macht und Abhängigkeit ist "Fifty Shades of Grey" von E. L. James. Während die einen darin ein Lehrstück über die Lust an der sexuellen Unterwerfung lesen, sehen andere darin die perfide Geschichte eines Missbrauchs. Wie ordnen Sie das ein?
SABINE GRUBER:
"Da möchte ich Martin Walser zitieren, der sagte: 'Niemand liest mein Buch, jeder liest sein Buch'. Das erlebe ich bei meinen Büchern genauso. Der Leser sieht es immer richtig. Es ist sein Buch, ab dem Moment, wo er es aufschlägt. Zu dieser Erkenntnis zu kommen war für mich schwer, ein langer Prozess. Lesen ist ein kreativer Vorgang. Bleiben wir bei Cindy. Ihre Interpretationen reichen vom armen Hascherl bis zur starken Frau. Bücher und Filme sind Projektionsfläche und werden in die eigenen Welt eingeordnet. Das ist sehr komplex. Jeder macht sich seine eigenen Bilder mit größeren oder kleineren Überschneidungsflächen. Assoziation und Aversion haben viel mit dem eigenen Leben zu tun. Jeder kann einen blinden Fleck haben. Als Hascherl wird Cindy vielleicht von Männern mit Machtphantasien gelesen, die selber so sind wie der Chorleiter Wolf."

Können Sie den Hype um "Fifty Shades of Grey" – abseits der PR-Maschinerie – nachvollziehen?
SABINE M. GRUBER:
"Es liegt vermutlich daran, weil Macht und Abhängigkeit eben omnipräsent sind. Das ist ein Spiel – überall, nicht nur auf sexuellem Gebiet. Es ist ein Thema, das beschäftigt und jetzt gibt es ein Ventil, einen Anlass, darüber zu reden. Wie gesagt, Beziehungen auf Augenhöhe sind die Ausnahme. Wir befinden uns in der permanenten Auslotung der Grenzen. Ein Gleichgewicht in einer Beziehung zu halten ist eine hohe Kunst."

Was braucht es dafür?
SABINE M. GRUBER:
"Man muss den Anderen in seiner Andersartigkeit achten und anerkennen – auch in seinen Unzulänglichkeiten. Und man muss sich diese Unzulänglichkeiten auch selber zugestehen. Oft wirft man dem anderen ja die eigenen Unzulänglichkeit vor. Wichtig ist auch eine hohe Fehlertoleranz. Aber wir alle wollen immer perfekt sein, vor allem Frauen. Das ist eine totale Frauenkrankheit, davon erzählt auch mein Roman 'Beziehungsreise'. Sehr viel Unglück basiert darauf, dass Menschen glauben, sie müssten fehlerlos sein. Wir sind fehlbare Wesen. Ich sag' immer: Gerne wursteln und akzeptieren, dass alle wursteln – nur auf verschiedenen Niveaus. Beziehung ist ein Vorgang und kein Zustand."

Empfinden Sie Macht, wenn Sie das Leben und die Beziehungen Ihrer Romanfiguren komponieren und lenken?
SABINE M. GRUBER:
"Nein. Ich habe keine Machtphantasien beim Schreiben."

In Ihrem ersten Buch "Der Schmetterlingsfänger" schreiben Sie in Ich-Form aus Sicht des Protagonisten. Ist Ihnen die männliche Sicht schwer gefallen oder spielte das Geschlecht keine Rolle?
SABINE M. GRUBER:
"Für mich war es ein notwendiger Kunstgriff, der mir erleichterte Distanz zu halten. Viele männliche Leser waren erstaunt, dass man sich als Frau soweit in einen Mann versetzen kann. Aber ich bin mit drei Brüdern in einer sehr männlichen Welt aufgewachsen."

Welche Rolle hat die Musik, ein wichtiges Thema Ihrer Bücher, in Ihrem Leben?
SABINE M. GRUBER:
"Mit Musik bin ich groß geworden, ich habe mit fünf Jahren Klavier gelernt. Mein Vater war Chorleiter und Kirchenmusiker. Ich bin in dieser Welt aufgewachsen. Musik ist ein Zeichen dafür, dass ich doch sehr gefühlsmäßig auf Dinge anspreche. Beim Schreiben schlägt sich das abgesehen von der Thematik auf Komposition und Rhythmus nieder. Diese beiden Komponenten spielen in meinen Werken eine große Rolle. Ich habe die Strukturen der Musik unbewusst aufgesaugt und übertrage das automatisch. Meine Geschichten sind komponiert, haben einen Bogen und einen Rhythmus. Das ist mir wichtig."

Ihre Bücher decken Schattenseiten in Musik- und Werbewelt auf. Als Musikerin, Musikpublizistin und frühere Werbetexterin waren und sind Sie Teil dieser Welten. Wurde Ihnen 'Nestbeschmutzung' vorgeworfen?
SABINE M. GRUBER:
"Ja. (lacht) Natürlich! Jeder liest eben sein Buch und es gibt wohl bei jedem Roman jemanden, der sich davon betroffen fühlt. Ich war in meinem Leben in 4.000 Chroproben, aber das ist noch kein Roman. Meine Geschichten schöpfen aus der Realität, sind aber nicht Realität."

Zu einer anderen Realität: Wie schwer hat man es als österreichische Autorin am deutschsprachigen Markt?
SABINE M. GRUBER:
"Es ist überhaupt schwer, einen Verlag zu finden und ein Verlag ist auch kein Garant für Erfolg. Ob man am deutschen Markt als österreichische Autorin wahrgenommen wird – da fangen die Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen erst an. Das ist das Henne-Ei-Problem: Ist ein Bestseller einer, weil er dazu erklärt wird? Man muss als österreichische Autorin froh sein, überhaupt einen Verlag zu finden und sich durchwursteln zu können."

Interview: Cornelia Grobner (Printausgabe, 22. Juli 2015)

Zur Person
Die Autorin, Musikpublizistin und Lebensberaterin Sabine M. Gruber lebt seit dreißig Jahren im Elternhaus ihres Mannes in Kierling. Die gebürtige Oberösterreicherin hat Russisch, Französisch und Cembalo studiert und eine Gesangsausbildung absolviert. Ihr Debütroman "Der Schmetterlingsfänger" ist 1999 erschienen. Es folgten "Michaels Verführung" (2003), "Kurzparkzone" (2010), "Beziehungsreise" (2010) und "Chorprobe" (2014).

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

4:00

Wassermann – Glückskind des Monats
So wird das Horoskop im April

Alle zwölf Sternzeichen sind schon gespannt, was Astrologe Wilfried Weilandt zu berichten hat. Wie der April wird, wollt ihr wissen? Werft einfach einen Blick ins aktuelle Horoskop! ÖSTERREICH. Der April macht, was er will, das sagt uns schon der Volksmund. Damit es aber nicht ganz so turbulent wird, schauen Astrologe Wilfried Weilandt und Moderatorin Sandra Schütz wieder in die Sterne. Und so viel sei vorweg verraten: Der Wassermann ist das Glückskind des Monats, tapfer müssen hingegen die...

Hier findest du die billigsten Tankstellen in Niederösterreich.
4

Benzin- und Dieselpreise
Die billigsten Tankstellen in Niederösterreich

Hier erfährst du täglich, wo die billigsten Tankstellen in Niederösterreich sind, wie man günstig tankt und auch, wie man am Besten Sprit sparen kann. NÖ. In ganz Österreich ist es am günstigsten Vormittags zu tanken, da die Tankstellen nur einmal täglich, um 12 Uhr, die Spritpreise erhöhen dürfen. Preissenkungen sind jedoch jederzeit und in unbegrenztem Ausmaß möglich. Wir aktualisieren die Liste der günstigsten Tankstellen in Niederösterreich täglich mit den aktuell gültigen Preisen. Die...

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Niederösterreich auf MeinBezirk.at/Niederösterreich

Neuigkeiten aus Niederösterreich als Push-Nachricht direkt aufs Handy

Bezirksblätter auf Facebook: MeinBezirk.at/Niederösterreich

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Niederösterreich und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.