Der Methusalem Code – Teil 7: Fallen im Medizinsystem
Die Pharmaindustrie will Pillen verkaufen. Doch Hundertjährige nehmen erstaunlich wenig Medikamente.
„Die Menschen geben ihr Leben dafür, so viel medizinische Behandlung wie möglich zu bekommen“, spottete der aus Wien stammende Medizinkritiker und Philosoph Ivan Illich. Und tatsächlich ist ein gefährliches Phänomen mittlerweile weitverbreitet, das allen Nutzen von Medikamenten ins Gegenteil verkehren kann: Polypharmazie – die gleichzeitige Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten.
Arzneien fördern Demenz
Es sammelt sich so langsam an. Hier wird eine Pille verschrieben, dort eine „bessere Einstellung“ von Blutzucker oder Blutdruck angeordnet und der Cholesterinwert „zur Sicherheit“ noch ein wenig besser gesenkt. Es ist erschreckend, wenn man sich die zum Bersten vollen Pillenschachteln mancher älteren Menschen ansieht. Allein die Verabreichung – einmal, zweimal täglich, wöchentlich, auf nüchternen Magen, vor oder nach der Mahlzeit – erfordert enorme Konzentration.
Die meisten chronisch Kranken sind damit hoffnungslos überfordert, Irrtümer und Verwechslungen demnach an der Tagesordnung. Oft werden Tabletten vergessen, dann – zum Ausgleich – doppelt und dreifach hintennach eingeworfen. Es braucht aber gar nicht diese Einnahmefehler, damit die Arzneimittel fatale Folgen haben können. Oft genügt es durchaus, sich an die Anordnungen zu halten. Durch die Vielzahl der Medikamente wird über deren Wechsel- und Nebenwirkungen mehr Schaden angerichtet als sie nützen. Die Patienten stürzen, benebelt und betäubt von den Wirkstoffen, sie erleiden die gefürchteten Hüftgelenks- und Oberschenkelbrüche, oder sie bezahlen die chronische Medikamentenvergiftung mit Leber- und Nierenschäden.
Es fällt schwer, sich zu konzentrieren, die Vergesslichkeit steigt. Viele Arzneien gegen weitverbreitete Leiden fördern den Weg in die Demenz.
Die wenigsten Ärzte sind gute Pharmazeuten
Manche Symptome bessern sich, sobald die Medikamente abgesetzt werden, doch meist findet sich kein Arzt, der so etwas veranlasst. Im Gegenteil, viele reagieren ärgerlich, wenn Patienten erzählen, dass es ihnen besser geht, seit sie ein bestimmtes Mittel nicht mehr nehmen. Wie die Inhaltsstoffe genau in die körperliche Chemie eingreifen, können die Mediziner selbst nicht erklären. Die wenigsten Ärzte sind gute Pharmazeuten. Doch sie scheuen das Risiko, ein Medikament abzusetzen und denken, dass sie „auf Nummer sicher gehen“, wenn sie sich an die allgemeinen Leitlinien zur Therapie halten.
Bei diesen Leitlinien hat die Industrie jedoch ein gewichtiges Wort mitgeredet. Viele der Leitlinien-Konferenzen werden von den Herstellern finanziert, die einflussreichsten Mediziner stehen auf den Gehaltslisten der Konzerne. Und somit ist es kein Wunder, dass in den Leitlinien zu immer mehr und teureren Medikamenten geraten wird.
Vieles davon steht unter dem Motto der Prävention. „Vorsorgen ist besser als heilen“, hören wir seit der Kindheit, und auch die Ärzte fahren voll auf diese Idee ab. Krankheiten sollen in einem möglichst frühen Stadium erkannt und therapiert werden. Ein bestechendes Prinzip, das jedoch in der Praxis seine Tücken hat.
Harmlose Polypen oder Kalkeinlagerungen werden als Krebsvorstufen interpretiert
Die Untersuchungsgeräte werden immer besser und finden winzige verdächtige Zellen. Harmlose Polypen oder Kalkeinlagerungen werden als Krebsvorstufen interpretiert, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit später zum Ausbruch kommen. Und sogar bei realen Tumoren, ist es nicht gewiss, ob diese zu Lebzeiten jemals Probleme verursacht hätten. Viele wachsen extrem langsam oder bilden sich wieder zurück. Doch was soll man nun tun? Meist wird operiert, bestrahlt, chemotherapiert.
Denn wer könnte es verantworten, jetzt nicht mit dem vollen Arsenal der medizinischen Möglichkeiten zu antworten. „Es ist offenbar ein kaum denkbarer Gedanke, dass Nicht-Wissen sinnvoll sein kann“, sagt der deutsche Medizin-Experte Jürgen Windeler, der medizinische Therapien und Vorsorge-Programme auf ihr Nutzen- und Schadenspotenzial untersucht.
Fragen Sie deshalb Ihren Arzt bei jedem geplanten Eingriff nach einer genauen Erklärung der möglichen Folgen. Holen Sie eine zweite Meinung ein. Betonen Sie, dass Sie Ihre Medikamente auf das absolute Mindestmaß reduzieren wollen. Und fragen Sie nach Alternativen. Oft bringen Änderungen im Lebensstil ein viel besseres Resultat.
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