Heimweh
Da ist sie, die Tschechischen Philharmonie. Jedes Mal wenn ich sie sehe und höre, denke ich an ihren verstorbenen Chefdirigenten Jiří Bělohlávek. Er hatte mir im Wiener Konzerthaus ein denkwürdiges Konzert beschert. Wunderbar war sein Dirigat, ich war gebannt von seinem Einfühlungsvermögen in die Partitur und seinem großen Können, ein Orchester nur mit kleinen Gesten zu leiten. Am 1. Juni 2017 ist er verstorben. Im Jänner 2017 hatte er noch seinen Vertrag verlängert.
Aber jetzt sind wir in Grafenegg. Am Pult steht Tomáš Netopil. Er ist ein energischer Konzertleiter. Sehr präzise führt er das Orchester durch ein Dvořák-Programm. Der 1975 Geborene zählt zur jüngeren Generation aufstrebender Kapellmeister, die sich leise eine gute Reputation verschaffen. Netopil dirigierte bei den Salzburger Festspielen, ohne großes öffentliches Aufsehen zu erregen. Alles gute Voraussetzungen, um im Wolkenturm ein famoses Open-Air-Konzert zu leiten.
Nun zum Geschehen vor Ort: Sowohl beim Konzert für Violoncello und Orchester in H-moll (Solist Truls Mørk, aus der Regenhauptstadt Bergen, Norwegen), als auch bei der Symphonie Nr. 8 in D-Dur sind unverkennbar Auszüge aus Volksmusik hörbar. Ersteres wurde in den USA geschrieben und in London uraufgeführt. Dvořák hatte sich sehr lange bitten lassen, fern der Heimat Musik zu komponieren. Die finanzielle Last trieb ihn ins Ausland. Doch die Sehnsucht nach den böhmischen Wurzeln blieb - er hatte Heimweh. Die 8. Sinfonie versprüht einen gelösten Charakter, macht Seitensprünge zur“ leichten“ Musik, verlässt jedoch nie den Gestus der Harmonik.
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Die Tschechische Philharmonie spielt beherzt, besonders den Bläsern muss man extra Lob spenden. Ein durch und durch harmonisches Orchester, das im Wolkenturm zur Bestleistung aufläuft.
Mit dem 5. Ungarischen Tanz von Johannes Brahms als Zugabe hat Netopil das Publikum endgültig auf seiner Seite. Der Jubel nimmt kein Ende.
Next: Am 31.8. spielt das Pittsburgh Symphony Orchester unter Manfred Honeck, Solist ist Matthias Goerne, Bariton. Das Programm: Antonín Dvořák, Gustav Mahler und Ludwig van Beethoven.
Infos und Tickets: www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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