Alles ist aus
Früher einmal war ich ein Partytiger. Beruflich. Ich glaubte, bei jedem Event dabei sein zu müssen. Es wäre ja eine Katastrophe gewesen, wenn ich einmal nicht als Fettauge auf einer Fete erschienen wäre. „Hallo, wo warst du denn“, „Ist eh alles in Ordnung“, „Wir haben dich vermisst“ - so oder ähnlich lautete der Bedauerns-Spruch, wenn ich einmal Pause machte. Also ging ich wieder hin. Im Schnitt einmal die Woche. Obwohl: Man traf immer die gleichen Menschen, es gab immer das gleiche Buffet, man hörte immer die gleichen Reden und immer wieder die gleichen öden Witze. Die Jagdgesellschaft #metoo hätte ein reiches Betätigungsfeld gehabt. Als ich dann aus meinem Amt schied, flog ich sehr rasch aus allen Dateien. Das war mir dann auch nicht Recht. Bei der einen oder anderen Gala wäre ich schon gerne dabei gewesen. Die Abstinenz habe ich letztendlich gut verkraftet. Jetzt tobe ich mich im Schreiben von Theaterkritiken aus. Ist ja auch Party.
Im Kasino des Burgtheaters ist wieder „Party-Time“ aufgenommen worden. Es ist ein böses Stück von Harold Pinter über eine durchgeknallte Gesellschaft. In der Programm-Vorschau erfährt man folgendes: Eine entvölkerte Stadt irgendwo in Mitteleuropa. In den Straßen patrouillieren Soldaten, der Verkehr ist zusammengebrochen. Nachrichtensperre. In einem exklusiven Club für die gehobene Gesellschaft ist unterdessen Partytime. Die Mitglieder dieses Clubs scheinen unbeeindruckt von den Vorgängen in ihrer Umgebung, sie plaudern, prahlen und protzen mit Affären, Eroberungen und Geschäften. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind geprägt von Kälte und Berechnung – Sex ist Macht- und Unterdrückungsspiel. Die wenigen Versuche, einander aufrichtig zu begegnen, scheitern an Angst und gegenseitigem Misstrauen.
Und das wird unter der Regie von Miloš Lolić drastisch umgesetzt. Daniel Jesch, Mavie Hörbiger, Alexandra Henkel, Stefanie Dvorak, Philipp Hauß, Marcus Kiepe, Elisabeth Augustin und Michael Masula leisten Schwerarbeit. Ist es ein Spiel oder doch Realität? Unter dröhnendem Technobeat erfährt man, dass eine exklusive Clique daran geht, ihr Leben in Saus und Braus zu genießen, selbst wenn der Abgrund droht. „Alles ist aus“ wird von den Protagonisten gegenseitig souffliert. Alles ist aus, nachdem sich die Partygäste exzessiv über ihre exklusive Stellung unterhalten. Immer wieder, in einer Stakkato-Wiederholung. Oberflächlich, egozentrisch und argwöhnisch beobachten sie ihr Gegenüber, alles unter dem Deckmantel der bösartigen Fröhlichkeit. Ein Platz an der Sonne muss erkämpft werden. Ein Goldregen bringt keine Zufriedenheit in der verkommenen Gesellschaft. Entkleidet werden sie Teil eines menschlichen Konglomerats. Die nackten Leiber verschmelzen sich, sexuell handgreiflich, jeder Hemmung entrückt kommt nur noch ein Lallen über ihr mieses Leben hervor, abseits von Macht, Glanz und Gloria. Die Stimmung ist erkaltet, dennoch hängen sie aneinander. Im Schmutz der Bühne und des Alltags, mit schalem Geschmack, ohne Sekt, ohne Glanz, ohne Glamour, angewidert vom Mundgeruch der Party-Gesellschaft kriechen sie zum Notausgang. Alles ist aus. „Auch mit einer Umarmung kann man einen Gegner bewegungsunfähig machen“ schrieb einst der italienische Politiker Amintore Fanfani.
In der Ausgrenzungsshow ist die Performance der AkteurInnen eine ganz besondere. SchauspielerInnen, die sonst im klassischen Bereich agieren, werden zu ausbeutenden Figuren der Aufführung eines Theatergenies. Und es ist hervorragend gelungen.
Next Party Time: 27.2.2018
Infos und Tickets: www.burgtheater.at
Reinhard Hübl
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