Der Kindergeneral in der Waisenhauskirche am Rennweg
Im Landstrasser Waisenhaus von Pater Parhamer wurde im 18. Jahrhundert exerziert, gekämpft und gedrillt.
LANDSTRASSE. Der Name der Waisenhauskirche, wie die Pfarrkirche Rennweg auch genannt wird, lässt vermuten, dass sich einst ein Waisenhaus bei der Kirche befand. Tatsächlich errichtete der Fabrikant Kienmayer neben seiner Seidenfabrik am Rennweg ein Waisenhaus, dem der Wiener Historiker Georg Hamann in seinem Buch "50 x Wien wo es Geschichte schrieb" ein Kapitel widmet. Genauer: Dem Leiter des Hauses, Ignaz Parhamer, dessen Erziehungsstil heute für Kopfschütteln sorgt, damals jedoch bewundert wurde.
"Der Fabrikant Kienmayer richtete das Waisenhaus ursprünglich für zwanzig Mädchen ein", erzählt Hamann die Geschichte des Hauses. "Innerhalb von zwanzig Jahren stieg die Zahl der Waisen auf dreihundert! Die Räume waren überbelegt, schmutzig und voller Ungeziefer. Die Kinder mussten in Kienmayers Fabrik gratis arbeiten."Die Zustände sollen so schlimm gewesen sein, dass Kaiserin Maria Theresia persönlich eingriff. "Das Waisenhaus wurde in eine öffentliche Einrichtung umgewandelt und ihr Vertrauter, der Jesuitenpater Ignaz Parhamer mit der Leitung beauftragt. Das Gebäude wurde umgebaut und um die Kirche erweitert, die Kinder erhielten eigene Kleidung, regelmässige Mahlzeiten und medizinische Versorgung."
Erziehung zu gesitteten Bürgern
Die Kinder mussten nun nicht mehr in der Fabrik Gratisarbeit verrichten, sondern wurden vom Pater zu "wahren eifrigen Christen und wohlgesitteten Bürgern" erzogen. Und diese Erziehung hatte es in sich: "Um halb fünf wurde aufgestanden und der Tag mit Messen und Unterricht straff verplant. Bettruhe am Abend war um sieben Uhr. Der Sonntag stand im Zeichen religiöser Übungen," so Hamann. "Berühmtheit erlangte das Waisenhaus allerdings mit dem harten, soldatischen Drill, dem die Knaben zwischen sechs und sechzehn Jahren ausgesetzt waren. Pater Parhamer erhielt bald den Beinamen Kindergeneral." Die Buben mussten exerzieren und waren mit Musketen, Säbeln und Bajonetten bewaffnet. "Parhamer ließ im Innenhof eine Befestigungsanlage errichten, die bei Vorführungen, an denen regelmässig Maria Theresia und 1782 sogar der Papst teilnahmen, erstürmt werden musste. Die Kaiserin war so beeindruckt, dass die drei ihrer Söhne bei Parhamer militärisch ausbilden ließ."
Das hatte natürlich Vorbildwirkung: Wohlhabende Familien brachten bald im Waisenhaus am Rennweg ihre Söhne unter. "Parhamer war ein Kind seier Zeit. Damals wurden Waisenkinder in Arbeitshäusern aufbewahrt und dienten oft als Kanonenfutter. Sein Waisenhaus war damals für Wiener Verhältnisse eine fortschrittliche Institution, man darf sie nicht an heutigen pädagogischen Maßstäben messen."
Zur Sache
Das Buch "50 x Wien wo es Geschichte schrieb" von Georg Hamann ist im Amalthea-Verlag erschienen. Es ist gebunden, enthält 272 Seiten mit zahlreichen historischen Abbildungen und kostet 25 Euro.
ISBN-13: 978-3990500484
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