Proporz im Grazer Rathaus: System mit Ablaufdatum
Warum in der Landeshauptstadt der Proporz gilt und dennoch eine Koalition regiert – der Versuch einer Analyse.
Öffentlicher und individueller Verkehr, Kraftwerksthematik, Bebauungspläne, Olympia, Frauenbeauftragte: Der Konflikt zwischen Schwarz-Blau und dem Rest des poltischen Spektrums wird im Wochentakt um neue Facetten bereichert – salopp formuliert: Die Grazer Stadtpolitik kommt als ziemlich zerstrittener Haufen daher, wirkt wie Regierung auf der einen, Opposition auf der anderen Seite.
Die Proporz-Falle
Hintergrund dafür ist das politische System, in das man die Stadt zwingt: die Proporzregierung. In aller Kürze bedeutet das: Ab einem gewissen Prozentanteil an den Gesamtstimmen (in Graz rund 10 Prozent) ist man automatisch in der Regierung vertreten – ob man das nun will oder nicht. Ein System, das lange Zeit gute Dienste leistete. Weil es alle an die Futtertröge der Macht ließ und weil viele Konflikte vermieden werden konnten.
Realpolitisch stellt sich die Situation aber anders dar: Siegfried Nagl (ÖVP) und Mario Eustacchio (FPÖ) agieren wie eine Koalitionsregierung, die KPÖ-Stadträte Elke Kahr und Robert Krotzer sowie die Grüne Tina Wirnsberger spielen Opposition in der Regierung. Was – siehe oben – zu jenem unschönen Bild des zerstrittenen Haufens führt.
Proporz abschaffen
Die logische Konsequenz wäre es daher wohl, den Proporz abzuschaffen, so wie es in Bund und Land (seit 2015) üblich ist. Schwarz und Blau sind einer solchen Lösung gegenüber nicht abgeneigt.
Allerdings: So einfach ist das nicht. Denn: "Dafür würde es eine Änderung der Bundesverfassung brauchen", erläutert Politikwissenschafter Klaus Poier. Diese gilt für alle Gemeinden in Österreich, damit auch für Graz. "Es wäre aber absolut sinnvoll, hier eine Änderung herbeizuführen, ähnlich wie es im Land passiert ist", führt Poier aus. Rechtliche Grundlage könnte etwa sein, dass Gemeinden ab 100.000 Einwohnern die Möglichkeit haben, Koalitionsregierungen zu bilden. Das Modell der "nicht amtsführenden Stadträte", wie es in Wien angewendet wird, hält Poier nicht für zweckmäßig: "Wien hat da eine Sondersituation, weil man gleichzeitig Stadt- und Landesregierung ist."
Nachsatz: In den Stadtsenatssitzungen selbst geben sich die "Streitparteien" übrigens weit zahmer als in der öffentlichen Wirkung: Über 90 Prozent der Beschlüsse dort sind einstimmmig.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.